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Coronavirus Der Frust der Italiener

Mit dem Exportstopp für Schutzmasken hat Deutschland Vertrauen verspielt.

Von Petra Kaminsky, Theresa Münch, Andreas Hoenig und Michael Fischer 03.04.2020, 23:01

Rom/Berlin (dpa) l An Fenstern, Balkonen und auf den Dachterrassen Roms wehen derzeit immer mehr grün-weiß-rote Italien-Fahnen. Sie sind ein Zeichen des Stolzes, dass sich nach Wochen der Angst und Ausgangssperren erste positive Signale im Kampf gegen das Coronavirus zeigen. Gleichzeitig holen mehrere Bürgermeister, etwa in Grosseto in der Toskana und im Ski-Ort Limone Piemonte am Alpenrand, symbolträchtig die blauen EU-Flaggen an ihren Rathäusern ein.

Rechtsaußenpolitiker wie Ex-Innenminister Matteo Salvini und die in Italien sehr beliebte Giorgia Meloni, Chefin der ultrarechten Fratelli d‘Italia, beklatschen das. Ihr Tenor: Europa habe Italien in den ersten Wochen der Krise die kalte Schulter gezeigt. Deutschland sei dabei der Bestimmer.

Diese Haltung gibt es aber nicht nur im rechten Lager. Die Enttäuschung und das Unverständnis in Italien sind groß, dass Hilferufe an die EU-Partner zu Beginn der Krise nicht die erhoffte Reaktion fanden. Besonders negativ ist in Erinnerung, dass Deutschland – ähnlich wie Frankreich – Anfang März zeitweise Exportstopps für Material wie Atemschutzmasken, Schutzanzüge und -brillen verhängte. Auch als Rom mehr Beatmungsgeräte und Ärzte suchte, schickten zuerst China und andere Länder Flugzeuge mit Geräten und Personal – dann auch Russland. Zur Zeit der Landung der ersten deutschen Rettungsflüge für Corona-Patienten in Italien hatte sich das Klischee vom „hartherzigen Deutschen“ schon über Wochen festsetzen können. Die Zeit des Wartens, während die Zahl der inzwischen fast 14 000 Corona-Toten immer weiter stieg, habe wie ein „Brandbeschleuniger“ der Europa-Skepsis gewirkt, sagt der Italien-Experte Wolfango Piccoli vom Forschungsinstitut Teneo.

Inzwischen ist auch die deutsche Hilfe für Italien in großem Stil angelaufen:

Deutsche Krankenhäuser haben 81 Betten für schwerkranke Covid-19 Patienten aus den überlasteten Krankenhäusern vor allem Norditaliens zur Verfügung gestellt. 32 Patienten wurden bereits nach Deutschland gebracht, teilweise von Spezialflugzeugen der Bundeswehr.

Sieben Tonnen Hilfsgüter, darunter Beatmungsgeräte und Atemmasken, wurden nach Italien geschickt. Weitere Lieferungen sind zugesagt.

Außenminister Heiko Maas (SPD) gab der italienischen Zeitung „Corriere della Serra“ kürzlich ein Interview, in dem er sagte: „Sich gegenseitig in Europa zu helfen, sollte eine Selbstverständlichkeit für uns alle sein. Die Solidarität, gerade in schwierigen Zeiten, gehört zum Fundament der Europäischen Union.“

Solche Beteuerungen werden der Bundesregierung aber nicht mehr überall in der EU abgenommen. Der Grund: Die deutsche Haltung zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Konkret: Das kategorische Nein zur Vergemeinschaftung von Schulden über sogenannte „Corona-Bonds“. Deutschland setzt stattdessen auf bewährte Instrumente wie den Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) und die Europäische Investitionsbank. Auch der EU-Haushalt biete Spielräume – hier ist Deutschland der größte Nettozahler.

Das deutsche Hauptargument gegen „Corona-Bonds“: Anders als bei Hilfen über den ESM gäbe es keine Auflagen – Staaten wie Italien aber hätten bereits in der Vergangenheit Fiskalregeln nicht eingehalten. Bei „Corona-Bonds“ würden die Regierungen nicht nur gemeinsam Geld an Finanzmärkten aufnehmen, sondern auch gemeinschaftlich für Zinsen und Rückzahlung haften. Das ist vielen gerade zu riskant, vor allem in der Unionsfraktion gibt es massiven Widerstand.

Deutschland hat zwar die Niederlande, Finnland und Österreich auf seiner Seite. Der Druck auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aus dem Süden Europas wächst aber. Italien wird von dem ebenfalls besonders stark von der Krise getroffenen Spanien, aber auch von Frankreich und anderen unterstützt. „Ganz Europa zählt auf Deutschland“, sagte der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire am Donnerstag. Er sagte es auf Deutsch, damit es in Berlin auch ja gehört wird.

So mancher sieht es längst als Existenzfrage an, ob die EU bei der Krisenbewältigung noch zusammenfindet. Alle Annäherungsversuche der Lager in Videokonferenzen der Staats und Regierungschefs sind bisher gescheitert. Um Ostern soll ein weiterer Versuch stattfinden. Dann wird sich alle Aufmerksamkeit auf Merkel richten, deren Appelle an die Bevölkerung in Deutschland zwar als sehr gelungen gelten. In Sachen Europa hat sie aber noch nicht den Ton getroffen, der den Streit entschärfen könnte.