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DDR-Erinnerung Schmidt und der Güstrow-Schock

Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt bekam bei einem DDR-Besuch 1981 eine Scheinwelt vorgeführt. Am Sonntag wäre sein 100. Geburtstag.

Von Steffen Honig 23.12.2018, 00:01

Berlin l Als die Luftwaffen-Boeing mit Helmut Schmidt an Bord am kalten 11. Dezember 1981 auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld landete, nahm einer der spektakulärsten Einsätze in der Geschichte der DDR-Staatssicherheit seinen Lauf. Der Bundeskanzler kam zu Gesprächen mit DDR-Partei- und Staatschef Erich Honecker in angespannter Zeit. Die Auseinandersetzungen um die Stationierung von atomaren Mittelstreckenwaffen in Europa waren in vollem Gange.

Im Kontrast zu den konfliktreichen Verhandlungen stand eine touristische Einlage: Schmidt wollte als Barlach-Kenner in Güstrow die Kunst des Meisters bewundern. Während für die Stasi die Abschirmung westlicher Staatsgäste in Ost-Berlin mittlerweile zur Routine gehörte, war es ein Ausflug in eine Provinzstadt mit damals 38 .000 Einwohnern nicht. Ausgerechnet am letzten Besuchstag, dem 13. Dezember, wurde im unruhigen Polen auch noch das Kriegsrecht ausgerufen.

Noch in schlechter Erinnerung hatte die DDR-Führung den für sie peinlichen Jubel, mit dem der damalige Bundeskanzler Willy Brandt 1970 in Erfurt empfangen wurde. Damals hatten die Sicherheitskräfte alle Mühe gehabt, die begeisterte Menge zu bändigen. Als Brandt schließlich den Erfurtern vom Fenster Hotels „Erfurter Hof“ zu winkten, waren das Bilder fürs Geschichtsbuch.

Daraus ergab sich für die DDR-Führung die klare Maßgabe für die Güstrow-Visite Schmidts: Solche Verbrüderungsszenen vor bundesdeutschen Kameras durfte es keinesfalls wieder geben. Dem eigenen Volk war nicht zu trauen.

Also machte das MfS Nägel mit Köpfen und riegelte die Stadt komplett ab. Eingesetzt wurden insgesamt 35 .000 Sicherheitskräfte. DDR-Kritiker wurden observiert, zwischen 9 und 18 Uhr durften die Güstrower die Fenster nicht öffnen.

Für den Schmidt-Besuch in der mecklenburgischen Kleinstadt wurde eine künstliche Atmosphäre unter Ausnutzung der vorhandenen Kulissen erzeugt. Zu diesen gehörte als zentrales Element der Güstrower Weihnachtsmarkt. Dieser erschien den Spitzenfunktionären und nachgeordneten Behörden besonders geeignet, dem Kanzler aus dem anderen Deutschland das optimistische Lebensgefühl der Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik vor Augen zu führen.

Nur fehlten die glücklichen Familien, es herrschte ein unübersehbarer Überhang an jungen Männern. Die Besucher auf dem verschneiten Weihnachtsmarkt waren genauestens vorsortiert. Stasi-Angehörige oder verlässliche SED-Mitglieder tummelten sich an den Buden. Es war ein absurdes Theater.

Die Stadtbevölkerung war nach generalstabsmäßiger Planung vom Besuchsgeschehen ausgeschlossen worden. Niemand sollte hier Schmidt überraschend Beifall klatschen können.

Dem von Honecker begleiteten Gast aus dem Westen entging nicht, dass er in einer surrealen DDR-Welt gelandet war. Für ihn war es unfassbar, die Leute so gegängelt wurden. Schmidt bemühte sich jedoch so weit es ging, gute Miene zum üblen Spiel zu machen.

Der Kanzler schaute sich das Atelier und das Wohnhaus Ernst Barlachs an und ließ dann im Güstrower Dom dessen berühmte Bronze- skulptur „Der Schwebende“ auf sich wirken.

Nur auf einer Programmänderung bestand der Bundeskanzler: Zum Abschluss sollte Schmidt beim Besuch des Domes selbst auf der Orgel spielen. Darauf verzichtete er jedoch mit Blick auf die Ereignisse in Polen. Beinahe hätte der Kanzler wegen der plötzlichen Verkündung des Kriegsrechts in Warschau seine DDR-Visite überhaupt abgebrochen, was Honecker Renommee gekostet hätte.

Schmidts Bild vom DDR-Staatslenker verfestigte sich in den Dezembertagen 1981. Erstmals hatten sich die beiden bei der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte in Helsinki 1975 getroffen. Der Kanzler hielt Honecker für einen hölzernen und wenig inspirativen Politiker.

Später urteilte Schmidt in seinem Buch „Außer Dienst“: „Honecker glaubte an den internationalen Kommunismus; er ist in seiner gesamten Regierungszeit ein typischer kommunistischer Funktionär geblieben, dem es nicht nur am eigenen Urteil mangelte, sondern auch an jedwedem Pa- triotismus. Immerhin muß man ihm die langen Zuchthausjahre während der Nazi-Zeit zugute halten.“

Helmut Schmidt besuchte Güstrow noch einmal: 1990, in Zeiten des großen Umbruchs. Die Stadt machte ihn zu ihrem Ehrenbürger.