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Demenzkranke Medikamententest wird zur Gewissensfrage

Parteien, Kirchen und Verbände streiten um den Einsatz von Medikamentests bei Demenzkranken. Eine Entscheidung ist verschoben.

08.06.2016, 23:01

Berlin (epd) l Mit einer schnellen Entscheidung des Bundestages über die Ermöglichung von Arzneimitteltests an Demenzkranken ist vorläufig nicht zu rechnen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, machte sich am Mittwoch in Berlin dafür stark, den Fraktionszwang aufzuheben. „Das ist eine ethische Frage“, sagte sie. Die Abgeordneten müssten genügend Zeit für die Beratungen haben und bei der Abstimmung ihrem Gewissen folgen können. Lambrecht schloss sich damit einer Forderung der Grünen an.

Die Abstimmung über das Gesetz war für diesen Donnerstag vorgesehen. Nach internen Auseinandersetzungen in den Koalitionsfraktionen wurde sie aber von der Tagesordnung genommen. Die Regelungen, die Teil eines Arzneimittel-Gesetzes sind, sehen vor, dass Demenzkranke auch dann an Studien teilnehmen können, wenn sie nicht mehr in der Lage sind zuzustimmen und selbst keinen Nutzen von den Tests haben. Voraussetzung soll sein, dass sie dies in gesundem Zustand in einer Patientenverfügung ermöglicht haben. Entscheiden soll dann ihr rechtlicher Betreuer.

Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU) verteidigte die Pläne. Er sagte im Deutschlandfunk, es gehe darum, Demenz besser zu verstehen. Deswegen seien klinische Studien auch im Spätstadium der Krankheit notwendig. „Wir reden hier über relativ leichte Untersuchungen, wo es nicht um eine lebensverbrauchende Forschung geht, sondern eine lebensbegleitende“, sagte er.

Laumann räumte zugleich ein, dass die ethische Abwägung schwierig sei. Ob die Patienten noch einverstanden seien, wenn die Tests erfolgten, sei kaum festzustellen. Sie könnten aber Vertrauen in das Gesundheitssystem haben. In kaum einem anderen Land gebe es so strenge Regeln wie in Deutschland. Wenn die Studien in Deutschland nicht zugelassen würden, „dann müsste man konsequenterweise sagen, dass man Forschungsergebnisse, die in anderen Ländern erzielt werden, in Deutschland nicht nutzt“, argumentierte Laumann.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte als Kompromiss zuletzt eine verpflichtende ärztliche Beratung vorgeschlagen für Menschen, die in ihrer Patientenverfügung die Einwilligung zur späteren Teilnahme an Studien geben wollen. Die Fachpolitiker der Union befürworten das, die SPD lehnt den Vorschlag ab.

Mit den gesetzlichen Regelungen will Gesundheitsminister Gröhe eine EU-Verordnung über klinische Studien an nicht einwilligungsfähigen Menschen ins deutsche Recht übertragen. Medikamententests an Menschen, die von Geburt an behindert sind, und Kindern bleiben dabei ausgeschlossen.

Seitens der EU ist vorgesehen, dass der rechtliche Betreuer eines Demenzkranken die Einwilligung zur Teilnahme geben und eine Ethikkommission die Studie als solche genehmigen muss. Erreicht der Bundestag keine Einigung, würde künftig in Deutschland die EU-Verordnung gelten.

Gegen Gröhes Pläne gibt es seit Wochen Protest von den beiden großen Kirchen und Abgeordneten aus allen Fraktionen sowie Sozial- und Behindertenverbänden. Der frühere Patientenbeauftragte Hubert Hüppe (CDU) sprach von einem Tabubruch.