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Europäische Union Für gutes Verhältnis zu Russland

Ende Dezember geht die EU-Ratspräsidentschaft Estlands zu Ende. Mart Laanemäe, Botschafter des Landes in Berlin, zieht Bilanz.

Von Steffen Honig 01.12.2017, 00:01

Volksstimme: Herr Botschafter, der kürzliche EU-Gipfel war für Estland an der Ostgrenze der Europäischen Union besonders wichtig. Was hat er gebracht?
Mart Laanemäe:
Wir müssen verstehen, dass ein Großteil der östlichen Partnerländer unsere Nachbarn sind. Alles, was dort geschieht, ist auch für uns von Bedeutung. Wir brauchen eine engere Zusammenarbeit, damit wir unsere Beziehungen besser regeln können. Es sind auch etwas fernere Staaten dabei – Armenien, Georgien und Aserbaidschan – aber auch dorthin haben wir unsere Beziehungen. Es war wichtig, dass der Gipfel in Brüssel zusammenkam, das vermittelt noch mehr das Gefühl, dass die östliche Partnerschaft eine Sache der gesamten Union ist.

In diesem Zusammenhang wird der Begriff „europäische Perspektive“ beinahe inflationär gebraucht. Sehen Sie irgendeines dieser Länder demnächst in der EU?
Ich denke, die Zeiten, in denen sich Länder schnell umstellen konnten und Mitglied der EU wurden, waren kurz nach der Wende. Bei den östlichen Partnern ist die Mitgliedschaft heute derzeit kein Thema. Es geht darum, die Partnerschaft auf der heutigen Basis aufzubauen.

Nicht zur Partnerschaft gehört Ihr Nachbar Russland. Wie ist das Verhältnis Estlands zu Moskau?
Russland ist ein großer Nachbar und historisch uns sehr stark verbunden. Es gibt zahlreiche Geschäfts- und Familienkontakte über die Grenze hinweg. In Estland hat es immer viele Menschen gegeben, deren Muttersprache Russisch ist. Ein gutes Verhältnis zu Russland ist für uns wichtig. Allerdings müssen wir sehen, dass Russland dabei gegenwärtig Schwierigkeiten bereitet. Aber auf der menschlichen Ebene und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit läuft alles.

Sie sprachen es an: In Estland gibt es eine beachtliche russische Minderheit, sie macht rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung von rund 1,3 Millionen Menschen aus. Wie ist es um deren Integration bestellt?
Wie gesagt: Wir haben viele Bürger deren Muttersprache Russisch ist. Die meisten, aber nicht alle, fühlen sich als Russen, aber sie identifizieren sich mit Estland. Sie alle leben gern bei uns und somit in der Europäischen Union. Viele sind zu uns gekommen, weil sie zu Sowjetzeiten in den „Westen“ des damaligen Vielvölkerstaates ausgewandert sind. Sie sind eingebürgert und überall in Politik und Gesellschaft vertreten.

Ein Anliegen der estnischen EU-Ratspräsidentschaft war es, den Fokus auf gleiche soziale Rechte in Europa zurichten. Sehr weit sind Sie damit nicht gekommen, oder?
Die Frage ist, wie man die verschiedenen Sozialsysteme der einzelnen Mitgliedsstaaten miteinander verbindet. Es gibt Länder, die Rentenverträge haben, wo man den Rentenanspruch aus einem anderen Land geltend machen kann. Aber das muss alles besser organisiert sein. Es gibt viele, die über ein soziales Europa sprechen. Das ist aber ein Thema für die Zukunft. Aber es gibt praktische Dinge, die im Sinne der Bürger entschieden werden müssen. Ich kenne einige Leute, die in einem anderen Land leben und dort gern weiterarbeiten möchten. Doch müssen sie wieder nach Hause, weil sonst die sozialen Rechte in der Heimat verfallen. Das könnte man besser im Sinne der Menschen lösen.

Von estnischer Seite war der Vorwurf zu hören, die Deutschen machten mit ihrer Regierungskrise die Ratspräsidentschaft Estlands kaputt. Was ist da dran?
Naja. Normalerweise ist die deutsche Politik konsequent und nachhaltig. Es ändert sich wenig. Es ist notwendig, dass in der EU Entscheidungen getroffen werden. Eine gewisse Zeit nach den Wahlen kann man sicherlich so weitermachen wie vorher, aber irgendwann muss man sich die Frage stellen: Wird diese deutsche Position auch von der nächsten Koalition getragen? Da wird es zunehmend kompliziert. Heute das eine sagen und morgen etwas anderes – das ginge nicht. Dies gilt natürlich für alle Mitgliedsstaaten.

In den vergangenen Monaten haben wir die erste Ratspräsidentschaft Estlands erlebt. Sind die wechselnden Präsidentschaften noch vernünftig und zeitgemäß?
Das ist vernünftig. Die halbjährlichen Ratspräsidentschaften in der Europäischen Union sind ja eine Art Ehrenamt. Jeder muss mal dran sein. Sonst stellt sich die Frage, wer bei Führung der EU der Bessere ist. Ich glaube schon, dass dies Sinn macht, zumal man Einiges lernt. In den fast 14 Jahren, die wir in der EU sind, haben Regierungen und damit das Personal in den EU-Ländern oft gewechselt, werden neue Erfahrungen gesammelt. Diese auch wechselnd an der Spitze der Gemeinschaft kenntlich zu machen, stärkt die Zusammenarbeit.

War der Vorsitz für Ihr Land ein Erfolg?
Durchaus. Estland ist in Europa in den vergangenen Monaten deutlich bekannter geworden – besonders als ein Staat, das der Entwicklung einer digitalen Gesellschaft vorangeht.