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Europapolitik Türkei als Bollwerk unverzichtbar

Mehr als 50 Jahre nach den ersten Vereinbarungen mit der EU ist die Türkei von der erhofften Mitgliedschaft weiter entfernt denn je.

Von Steffen Honig 28.03.2018, 01:01

Warna l Der EU-Türkei-Gipfel in Bulgarien ist ausgegangen wie das sprichwörtliche Hornberger Schießen. Es war aber eine Nullnummer mit Ansage. Bei Steinbutt, Kalbsfilet und Lammkotelett wurden die elementar verschiedenen Meinungen vorgetragen. Dabei blieb es im Wesentlichen, bis auf die Tatsache überhaupt in diesem Format miteinander gesprochen zu haben.

Dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurden sämtliche Wünsche abgeschlagen. Nichts ist es mit intensivierten EU-Beitrittsverhandlungen, der Visafreiheit für Türken in der Europäischen Union oder der angestrebten Zollunion. Die wäre vor allem für die türkische Landwirtschaft wichtig. Die Türkei, seit 2005 EU-Beitrittskandidat, fühlt sich von Brüssel wie fast immer missverstanden und ausgebremst. Seit 1963, wetterte Erdogan, gebe es das Assoziierungsabkommen zwischen Türkei und EU und sein Land komme einem Beitritt noch immer nicht näher.

Stattdessen nörgeln die Europäer, so das türkische Empfinden, zu Unrecht an der Menschenrechtssituation und der „Olivenzweig“-Offensive gegen die Kurden in Syrien herum.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wird in einem Beitrag für die französische Zeitung „Le Monde“ deutlich: „Heutzutage spiegelt der anti-türkische Diskurs im Westen teilweise die Zunahme von Fremdenfeindlichkeit und Hass gegen den Islam, die von der Instrumentalisierung von Flüchtlings- und Migrantenströmen durch westliche Ex- tremisten profitieren.“

Auch bei den Menschenrechten will sich die Türkei nichts vormachen lassen: Minister Cavusoglu führt zur Begründung an, dass sein Land Vertragspartner der Europäischen Menschenrechtskonvention sei. Das sichere die Respektierung individueller Rechte durch die türkische Justiz. „Demzufolge darf keiner behaupten, dass diese Rechte in der Türkei weniger respektiert werden als in irgendeinem Land Europas.“ Was ist mit den Tausenden Türken, die nach dem Putsch gegen Erdogan verfolgt, entlassen und in die Gefängnisse geworfen wurden? Alles Terroristen, sagt Ankara.

Die Sichtweise in Europa ist eine grundlegend andere: Präsident Erdogan arbeitet daran, die türkische Demokratie zu zerschlagen, um auf deren Trümmern die eigene Diktatur aufzubauen. Damit verbunden wird das Land nicht mehr nur schleichend, sondern offen islamisiert.

Genau wegen dieser hoffnungslosen Ausgangslage stand der Gipfel in der Schwarzmeer-Stadt Warna auf der Kippe. Der konservative bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow (ehedem Personenschützer des letzten bulgarischen KP-Chefs Todor Schiwkow) redete sich den Mund fusselig, um Erdogan über den Bosporus zu bekommen.

Bulgarien, das derzeit die EU-Präsidentschaft innehat, braucht die Türkei am dringendsten als Bollwerk gegen den Flüchtlingsstrom nach Europa. Doch auch die anderen EU-Staaten fürchten, erneut einem unkontrollierbaren Migranten-Ansturm ausgesetzt zu sein. Deshalb soll Ankara nochmals drei Milliarden Euro erhalten, um die Grenzen zu sichern und Flüchtlinge vernünftig unterbringen zu können. Der sachsen-anhaltische Europaabgeordnete Arne Lietz (SPD) sieht indes angesichts der türkischen Einmarsches in Syrien die Drei-Milliarden-Gabe als „Fehler“ an.

Gewiss ist das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ein Deal mit fadem Beigeschmack. Doch wie ohne den Pakt ein neuer Chaos-Herbst wie 2015 verhindert werden soll, konnte noch niemand überzeugend darlegen.