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Fall Böhmermann Merkels Stimme war entscheidend

Der Weg für ein Strafverfahren gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung ist frei. Die Türkische Gemeinde begrüßt den Weg vor das Gericht.

15.04.2016, 12:10

Berlin (dpa) l Im diplomatisch heiklen Fall Jan Böhmermann ist der Weg für ein gesondertes Strafverfahren gegen ihn wegen seines "Schmähgedichts" über den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan frei. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gab einem entsprechenden Wunsch der Türkei am Freitag statt – allerdings verbunden mit Kritik am Umgang Ankaras mit der Medien- und Kunstfreiheit. Merkel kündigte in Berlin zugleich an, dass der Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs zur Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter – die Grundlage ihrer Entscheidung – noch in dieser Legislaturperiode abgeschafft werden solle. Der Passus sei "für die Zukunft entbehrlich".

Die von Merkel vertretene Entscheidung ist in der schwarz-roten Bundesregierung aber umstritten. Die Kanzlerin verwies selbst auf "unterschiedliche Auffassungen" zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD. Die beteiligten SPD-Bundesminister stimmten nach Angaben von Fraktionschef Thomas Oppermann gegen den Wunsch der Türkei. Das Auswärtige Amt und das Justizministerium hätten gegen die Erteilung einer Ermächtigung gestimmt, teilten die Ressortchefs Frank-Walter Steinmeier und Heiko Maas (beide SPD) mit. An der Prüfung waren zudem das Innenministerium und das Kanzleramt beteiligt, die von der CDU geführt werden. Wegen Stimmengleichheit sei Merkels Stimme letztlich die entscheidende gewesen, erklärte Steinmeier.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betonte auf Twitter: "Ich halte die Entscheidung für falsch. Strafverfolgung von Satire wg 'Majestätsbeleidigung' passt nicht in moderne Demokratie." Dagegen erklärte Unions-Fraktionschef Volker Kauder: "Die Entscheidung der Bundesregierung im Fall Böhmermann ist richtig. Satire darf alles, aber nicht jede Beleidigung ist Satire. Wo die Grenze liegt, entscheiden in unserem Rechtsstaat die Gerichte."

Merkel sagte in ihrer Erklärung im Kanzleramt: "Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen." In Deutschland solle nicht die Regierung, sondern die Justiz das letzte Wort haben.

Infografik: Die Causa Böhmermann | Statista
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Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, begrüßt, dass der Konflikt um Jan Böhmermanns Schmähgedicht jetzt bei der Justiz landet. "Darüber sollen im Rechtsstaat Gerichte entscheiden, nicht Politiker", sagte er der Deutschen Presse-Agentur am Freitag in Stuttgart. Allerdings habe die Kanzlerin in dieser Sache Fehler gemacht, weil sie ohne Absprache mit dem Koalitionspartner SPD agiert habe. "Sie stand zwischen Koalitions- und Staatskrise und hat sich für die Koalitionskrise entschieden." Letztere könne man besser bewältigen.

Sofuoglu, der das Gedicht für "deplatziert und beleidigend" hält, bedauere, dass sich eine emotionale Diskussion über Meinungsfreiheit an den vulgären Sprüchen Böhmermanns entzündet habe.

Böhmermann hatte Ende März in seiner satirischen TV-Show "Neo Magazin Royale" (ZDF) ein Gedicht vorgetragen, in dem er den türkischen Präsidenten mit drastischen Worten angriff. Dies sorgte in der Türkei für große Empörung. Die Bundesregierung prüfte Erdogans Wunsch nach einem gesonderten Strafverfahren tagelang.

Der Anwalt Erdogans will voraussichtlich bis Ende des Monats einen Antrag auf Einstweilige Verfügung bei Gericht einreichen. Böhmermann habe es bisher abgelehnt, eine geforderte Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Damit sei ein gerichtlicher Weg unvermeidlich, sagte der Münchner Jurist Michael-Hubertus von Sprenger. Der Antrag auf Einstweilige Verfügung ist unabhängig von dem gesonderten Strafverfahren gegen Böhmermann, für das am Freitag durch die Entscheidung der Bundesregierung der Weg freigemacht wurde.

Kritiker werfen der Bundesregierung vor, wegen der Zusammenarbeit der EU mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zu viel Rücksicht auf Ankara zu nehmen. Merkel wies am Freitag allerdings ausdrücklich auf Defizite in der Türkei bei Presse- und Kunstfreiheit hin.