1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Die Lichtgestalt im gelben Pullunder

FDP-Politiker Die Lichtgestalt im gelben Pullunder

Fehlt der FDP heute, 70 Jahre nach ihrer Gründung, jemand wie Hans-Dietrich Genscher?

Von Martina Herzog 12.12.2018, 23:01

Berlin (dpa) l Engagiert, bisweilen cholerisch, aber auch sehr menschlich, so beschreiben frühere Weggefährten Hans-Dietrich Genscher, den wohl prominentesten FDP-Politiker der vergangenen Jahrzehnte: „Ich erinnere mich, wie er vor lauter Wut einmal an eine dicke Aktentasche trat und sich den Zeh gebrochen hat“, erzählt seine langjährige Sekretärin Ilona Schmid. „Wenn Genscher dann registrierte, dass er einen Fehler gemacht hatte, ist er um einen rumgeschlichen wie die Katze um den Milchtopf.“ Daran erkannten seine Mitarbeiter, dass es dem Chef leidtat.

Kollegen, ein Schulkamerad, ein Leibwächter, der frühere sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow – sie alle kommen in dem frisch erschienenen Interview-Band „Mensch Genscher“ der Journalistin Bettina Schaefer zu Wort. Es geht um eine Person mit Ecken und Kanten, einen erfolgreichen FDP-Politiker, der als deutscher Außenminister die Wende mit gestaltet hat. Das stellt auch die Frage in den Raum, wo die Freie Demokratische Partei heute steht, zweieinhalb Jahre nach seinem Tod, 70. Jahre nach ihrer Gründung am 11. und 12. Dezember 1948 in Heppenheim.

„Natürlich könnte die FDP heute jemanden gebrauchen wie Genscher“, meint der Politikwissenschaftler Nils Diederich von der Freien Universität Berlin, der unter anderem als Bundestagsabgeordneter für die SPD eigene praktische Erfahrung gesammelt hat. Aber: „So einer muss sich entwickeln“, sagt er. „Genscher war sicherlich auch von Anfang an nicht so bekannt und nicht so bewährt, dass man sagen konnte: Da kommt ein genialer Vertreter der Liberalen.“

Die Lichtgestalt heutiger Tage ist für die Partei Christian Lindner. Unter der Führung des aktuellen Partei- und Fraktionschefs haben es die schon totgesagten Freien Demokraten nach fünfjähriger Abstinenz wieder in den Bundestag geschafft. Heute pendelt die FDP in Umfragen zwischen 8 und 10 Prozent, was die Führung als Zeichen von Stabilität wertet.

Dennoch, bei allem Talent: „Ich glaube nicht, dass er die Weltläufigkeit von Herrn Genscher entwickeln kann, und ich glaube auch nicht, dass er die Integrationskraft hat, neue Wähler für die Liberalen anzuziehen“, sagt Diederich.

„Wir brauchen keinen neuen Genscher“, meint hingegen Rolf Steltemeier, der sich mit Arbeit über den Liberalismus habilitierte, als Hochschullehrer arbeitete und politisch in der FDP in Baden-Württemberg aktiv ist. „In seiner Zeit war er sicher richtig, charismatisch und gut. Ob er das heute noch wäre, bleibt fraglich. Weil er jetzt klarere Kante zeigen müsste in der Weltpolitik, weil Deutschland jetzt eine andere Rolle in der harten Interessenpolitik spielen müsste und nicht nur Soft Power sein kann.“ Zu Genschers Zeiten habe sich Deutschland aus gutem Grund ein wenig hinter Europa versteckt.

„Wir brauchen aber charismatische Politiker, die inhaltlich beschlagen und bereit sind, sich für die liberale Sache einzusetzen“, glaubt Steltemeier. „Und davon gibt es zu wenige.“ Lindner gehört für ihn eindeutig in diese erste Reihe. „Aber es braucht dringend mehr solcher Figuren mit Strahlkraft.“

Unter den FDP-Abgeordneten im Bundestag sind wenige von der alten Garde. Die Partei hat junge und engagierte Fachpolitiker – doch in den Talkshows sitzt oft doch wieder Lindner auf dem Sofa. Das liegt natürlich auch an den Medien, die auf Prominenz setzen. Aber prominent wird man nicht zuletzt durch Profil, und jenseits von Wolfgang Kubicki kennt die Partei wenige Quertreiber.

Genschers FDP hat sich öffentlich mehr gestritten, der Wechsel der Koalition von der SPD zur Union 1982 hat sie aber auch fast zerlegt. Von „Eiseskälte“ in der persönlichen Begegnung spricht Genschers frühere Parteifreundin Ingrid Matthäus-Maier. Sie wirft ihm vor, sie in dieser Zeit über seine Absichten belogen zu haben.

Streit ist Risiko. Und Kontrolle gibt wohl kein Spitzenpolitiker gerne ab. Im Auto habe er immer vorn sitzen wollen, berichtet sein früherer Personenschützer Bernd Schier. „Er wollte nicht von hinten um die Ecke gucken müssen, sondern immer Herr der Lage sein.“

Doch wie geht es weiter für die Genschers Partei, die FDP? „Es fehlt eine übergreifende Leitidee, die den Wählern klarmacht: Die Liberalen bieten eine Alternative“, stellt Forscher Diederich fest.