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FluchtDer Mann, der Folterwunden heilt

Wer nicht glaubt, dass Migranten in Libyen gefoltert werden, der muss den Arzt Massimo Del Bene treffen. Er hat Beweise aus erster Hand.

Von Alvise Armellini und Annette Reuther 15.10.2019, 23:01

Monza (dpa) l Massimo Del Bene sitzt an seinem Schreibtisch und geht durch verschiedene Bilder auf seinem Computer. "Sie werden nicht ohnmächtig, oder?", fragt er. Dann zeigt er die Hand eines Migranten, der in einem Lager in Libyen einen Enthauptungsversuch abgewehrt hatte. "Wir sehen diese Menschen, wir sehen, was ihnen passiert ist, wir sehen ihre Verletzungen: Wir erzählen keinen Schwachsinn", sagt Del Bene. Er ist Hand-Chirurg in einem Krankenhaus im italienischen Monza und behandelt Folteropfer aus Libyen, die mit Schiffen an Italiens Küsten angekommen sind. Die Menschen, die in Europa viele nicht haben wollen.

Eigentlich gibt der 65-Jährige ungern Interviews. Aber in den vergangenen Monaten hat er seine Meinung geändert, weil er "Folter-Leugnern" etwas entgegen stellen will. Dem kleinen ruhigen Mann mit der Brille, der eigentlich kein großes Aufsehen erregen will, entweicht das Wort "Scheiß-Leugner".

Gemeint sind damit indirekt Menschen wie der ehemalige Innenminister und Rechtspopulist Matteo Salvini, der Migranten gerne als Kreuzfahrttouristen bezeichnet, die sich ein gemütliches Leben in Italien machen wollen. Doch internationale Organisationen sprechen seit Jahren von den brutalsten Foltermethoden, die die Menschen in Libyen erlitten. Ändern tut es nichts: Die EU bezahlt die libysche Küstenwache weiter, damit sie die Flüchtlinge, die auf Gummiboote in Richtung Europa steigen, zurück in das Bürgerkriegsland bringt.

Del Bene hat die Beweise für Folter buchstäblich aus erster Hand. Er kann an den Händen seiner Patienten lesen, welches Leid sie in den Lagern erfahren haben müssen. Er spricht über "Verletzungen von Foltermethoden, die aus dem Mittelalter stammen könnten". In den letzten Jahren hat er Hände gesehen, die verbrannt, mit Hämmern zerdroschen oder fast von einer Machete abgeschlagen wurden. "Folterer wollen eine Spur hinterlassen und sie wollen sehr überzeugend sein", sagt Del Bene. Ihre Folter sei dazu da, um zu verstümmeln.

Der 24 Jahre alten Mohammed D. aus Ghana hat das erfahren. In Medieninterviews erzählt er, dass er eine Versuch, mit der Machete enthauptet zu werden, mit seiner Hand abgewehrt hat. Dabei wurden seine Sehnen und Nerven durchtrennt. Del Bene gelang es, wenigsten zum Teil die Bewegungsfähigkeit wieder herzustellen. Es ist dieses Bild, das er im San Gerardo-Krankenhaus auf seinem Computer öffnet.

Optimale Ergebnisse könnte ein Arzt erreichen, wenn die Verletzungen sofort behandelt werden. Doch die Wunden, die er behandelt, sind oft bis zu drei Jahre alt. "Um einen Nerv zu retten, hat man sechs Monate Zeit", erklärt er.

Körperliche Wunden seien nur die Spitze des Eisberges der Gewalt in Libyen, sagt die Ärztin Francesca Faraglia, die in einer Klinik für Folteropfer in Rom arbeitet, die von Ärzte ohne Grenzen betrieben wird. "Sie sind paradoxerweise am einfachsten zu behandeln." Psychologische Traumata zu heilen oder die Menschen in die Gesellschaft zu integrieren, sei viel schwieriger.

Vor kurzem nahm die Polizei auf Sizilien drei Männer fest, die mit dem deutschen Rettungsschiff "Sea-Watch3" der Kapitänin Carola Rackete nach Italien gekommen sein sollen. Ihnen wird vorgeworfen, ihre Opfer mit Elektroschocks und Schlägen gequält und gar getötet zu haben, um mehr Geld von Familienmitgliedern zu erpressen. Andere Flüchtlinge hatten sie in einer Unterkunft in Sizilien erkannt und bei der Polizei angezeigt.

Hilfsorganisationen sind sich des Problems bewusst, dass sie nicht nur Opfer sondern auch Täter transportieren könnten. "Wenn jemand in Not ist, wird geholfen. Das wäre im Übrigen auch bei der italienischen Küstenwache (...) nicht anders. Wir sind froh, wenn in einem fairen, rechtsstaatlichen Verfahren geklärt wird, was tatsächlich passiert ist und die Folteropfer Gerechtigkeit erfahren", erklärt dazu Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer.

Del Bene hofft derweil, nach seiner Rente eine Klinik für Kinder mit Kriegsverletzungen zu eröffnen. Ihn treibt der Glaube an Gott an. In seinem Büro steht ein Bild von Papst Franziskus und der Jungfrau Maria, seine Arbeit wird von der Caritas unterstützt. "Ich glaube an Solidarität, ich glaube an das Evangelium", sagt er. "Gott hat uns erschaffen, um zu geben, nicht zu nehmen. Wenn wir geben, sind wir glücklich."