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Flüchtlingspolitik Wohin führt der Asylstreit?

Angela Merkel und Horst Seehofer sind sich beim Grenzschutz weiter uneinig. Ein Kompromiss könnte beiden nützen.

13.06.2018, 23:01

Berlin (dpa) l In der Union streiten sie erbittert, ob auch in Zukunft jeder die deutschen Grenzen passieren darf, der hierzulande einen Asylantrag stellen will. Innenminister Horst Seehofer (CSU) will das beenden. Er will zumindest die Ausländer zurückweisen lassen, die in anderen EU-Staaten bereits registriert wurden. Am liebsten vielleicht auch noch jene, die keine Papiere bei sich haben. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist dagegen. Sie hofft weiter auf eine gemeinsame europäische Asylpolitik, die diesen Namen auch verdient.

Kees de Vries, CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Anhalt, steht in der Frage hinter Merkel. „Mit einer Zurückweisung bereits registrierter Asylsuchender stehlen wir uns nach meiner Auffassung aus unserer europäischen Verantwortung. Die Bundesrepublik kann Italien, Griechenland und Ungarn mit diesem Problem nicht allein lassen“, so de Vries. „Frieden, Wohlstand und Sicherheit in Deutschland können auf Dauer nur im europäischen Kontext gesichert werden.“

Welche Szenarien sind denkbar?
● Seehofer setzt sich durch: Seine Forderung, einen Teil der Asylbewerber an der Grenze abzuweisen, ist nicht nur in der CSU populär. Die Erfahrung zeigt, dass es oft schwierig ist, die Ausreise von Menschen, die nicht schutzberechtigt sind, durchzusetzen. In der Unionsfraktion hat sich am Dienstag kein einziger Unterstützer der Kanzlerin zu Wort gemeldet, sondern vor allem jene, die sich der Seehofer-Forderung anschlossen. Die Kanzlerin, die ein Gespür für Stimmungen hat, könnte sich deshalb gezwungen sehen, nachzugeben. Ohne eine gleichzeitige europapolitische Komponente würde sie das aber wohl kaum machen. Die CSU könnte bei der Landtagswahl im Oktober mit dem Argument, sie habe in Berlin in Sachen Asyl den Schalter umgelegt, punkten.

● Merkel setzt sich durch: Die Bundeskanzlerin hat der neuen Populisten-Regierung in Rom schon Hilfe bei der Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit versprochen. Wenn es ihr gelingen würde, auf europäischer Ebene Fortschritte bei der Verteilung und Versorgung von Flüchtlingen zu erreichen, müsste es keine Rückweisungen an der deutschen Grenze geben.

Die CSU könnte – wenn Merkel tatsächlich Verbesserungen aushandeln könnte – vielleicht trotzdem profitieren. Nach dem Motto: Wenn wir nicht Druck gemacht hätten, wäre es nie so weit gekommen. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, dessen Land von den Zurückweisungen betroffen wäre, stellt sich eher hinter Seehofer als hinter Merkel. Bei einem Besuch in Berlin betont Kurz zwar, er werde sich in den deutschen Streit nicht einmischen. Zugleich schwärmt er von einer neuen Achse Wien-Berlin-Rom gegen offene Grenzen, die er gemeinsam mit Seehofer bilden will.

● Es gibt einen Kompromiss: Seehofer schränkt seine Forderung ein. Zum Beispiel könnte er nur auf der Zurückweisung von Ausländern mit Wiedereinreiseverbot bestehen. Oder er macht die Grenzen nur für diejenigen dicht, die in einem anderen EU-Land schon einen Asylantrag gestellt oder eine Anerkennung als Flüchtling erhalten haben. Da könnte vielleicht auch die SPD mitgehen. Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka sagt: „Wir können über die Frage von mehr Zurückweisungen von Flüchtlingen, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, gerne diskutieren.“ Denkbar wäre auch ein zeitlicher Aufschub. Seehofer und Merkel könnten sich darauf einigen, die Forderung nach Rückweisungen als Druckmittel für die Verhandlungen der Kanzlerin beim EU-Gipfel am 28. und 29. Juni zu nutzen.

● Die Regierung platzt: Wahrscheinlich ist das nicht, aber auch nicht undenkbar. Selbst bei der SPD, die in den Wählerumfragen zurzeit nicht gut dasteht, wächst inzwischen die Sorge, dass dieses Szenario Realität werden könnte. Die Politikverdrossenheit könnte wachsen, wenn nach der langen Regierungsbildung jetzt schon eine Neuwahl drohen würde. Der CSU könnte das vielleicht nutzen. Doch Merkel und Seehofer würden in dem Fall beide auf der Verliererseite dastehen. Dass Merkel in diesem Fall noch einmal als Spitzenkandidatin in eine Bundestagswahl ziehen würde, wäre wohl ausgeschlossen. Seehofer würde wohl aus seinem „Super-Innenministerium“ ausziehen müssen.