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Irak Widerstand gegen Kurdistan

Die irakischen Kurden wollen über eine Unabhängigkeit abstimmen. Die Nachbarländer und die USA sind dagegen.

Von Jan Kuhlmann und Rissala al-Schaarkani, dpa 18.09.2017, 23:01

Bagdad l Bajan Salih kann den Tag, der das Leben der Kurden verändern soll, kaum erwarten. Die Hausfrau und Millionen andere Wähler stimmen am nächsten Montag in einem Referendum darüber ab, ob die kurdischen Autonomiegebiet im Nordirak ihre Unabhängigkeit ausrufen sollen. Für die 51-Jährige steht die Antwort fest: „Wir wollen das Leben in Demütigung und Abhängigkeit beenden“, sagt Salih. „Wie jedes Volk auf der Welt wollen wir Herr im eigenen Haus sein.“

Damit dürfte sie der Mehrheit der Kurden im Nordirak aus der Seele sprechen, die schon seit Jahrzehnten von einem eigenen Staat träumen. Kurden-Präsident Massud Barsani nutzte die vergangenen Monate, um das Vorhaben voranzutreiben. Mit dem zu erwartenden militärischen Sieg der irakischen Regierungskräfte gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sieht er die Zeit endlich gekommen. Das für den 25. September geplante Referendum soll ein Meilenstein sein auf dem Weg zur kurdischen Unabhängigkeit.

Doch so groß der Traum der Kurden vom eigenen Staat ist, so massiv fällt auch der Widerstand gegen die Abspaltung vom Rest des Irak aus. Derzeit vergeht kein Tag, an dem die Kurden nicht gedrängt werden, das Referendum abzusetzen oder zu verschieben. Vor allem die irakische Zentralregierung in Bagdad wehrt sich gegen die Abstimmung.

Sie verstoße gegen die irakische Verfassung, wetterte Ministerpräsident Haidar al-Abadi. Die Angst vor einem Zerfall des Irak spielt dabei eine zentrale Rolle. Vizepräsident Nuri al-Maliki kündigte an, ein „zweites Israel“ nicht dulden zu wollen. Einer der wichtigsten Anführer der mächtigen schiitischen Milizen, Hadi al-Amiri, warnte sogar vor einem Bürgerkrieg zwischen irakischen Arabern und Kurden.

Die Türkei, die eigentlich ein gutes Verhältnis zur Kurdenführung im Nordirak pflegt, hält das Referendum ebenfalls für einen „falschen Schritt“, der seinen Preis haben werde, wie Ankara drohte. Der andere große Nachbar der Kurden, der Iran, gehört zu den schärfsten Gegnern einer Abspaltung vom Irak, weil er wie die Türkei Auswirkungen auf die kurdische Minderheit im eigenen Land befürchtet.

Besonders schwer wiegt die Kritik der USA, wichtigster Partner der nordirakischen Kurden, nicht zuletzt im Kampf gegen den IS. Das Weiße Haus kritisierte die Pläne der Kurden als „provokant und destabilisierend“. Washington treibt vor allem die Sorge um, der Streit um eine kurdische Unabhängigkeit könnte den Kampf gegen die IS-Dschihadisten behindern, der für die USA absolute Priorität hat.

Mit diesem starken Widerstand scheint es unwahrscheinlich, dass die Kurden bald tatsächlich einen eigenen Staat ausrufen werden, selbst wenn die Zustimmung beim Referendum überwältigend ausfallen sollte. Rechtlich bindend ist die Abstimmung ohnehin nicht.

Doch Präsident Barsani, dessen Karriere sich mit 71 Jahren dem Ende zuneigt, dürfte es um etwas anderes gehen. „Er will die Präsidentschaft nicht aufgeben, ohne den Grundstein für einen unabhängigen Staat gelegt zu haben“, sagt Michael Knights vom Washington Institute for Near East Policy. „Massud Barsani braucht dieses Ereignis, damit er sein Vermächtnis sichern kann.“ Für den Irak-Experten Knights stellt sie ohnehin nicht mehr die Frage, ob die Kurden ihre Unabhängigkeit erlangen, sondern nur noch wann.

Die Basis für einen eigenen Staat wurde schon vor mehr als zwei Jahrzehnten gelegt. Lange litten die Kurden im Nord- irak unter der Brutalität des irakischen Diktators Saddam Hussein. Vor allem der Giftgasangriff auf die Stadt Halabdscha 1988 hat sich in das kollektive Gedächtnis der Kurden eingebrannt.

1991 errichteten die USA zum Schutz vor Saddams Truppen eine Flugverbotszone im Nord-irak, eine eigenständige Kurdenregion entstand. Mittlerweile genießen die kurdischen Autonomiegebiete viele Rechte eines Staates. Sie haben etwa eine eigenständige Außenpolitik, vergeben eigene Visa und erhalten Waffenhilfe aus dem Ausland. „In vielerlei Hinsicht ist es unausweichlich, dass Irakisch-Kurdistan unabhängig wird“, sagt Knights. Viele Kurden verweisen auch darauf, sie seien weltweit die größte Ethnie ohne eigenen Staat.