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Kandidatur Ziele der Ost-AfD nach Landtagswahlen

Im Wahlkampf erreicht die AfD meist Unzufriedene und Missmutige. Welche Rolle ihr nach den drei Landtagswahlen im Osten zufällt, ist offen.

28.08.2019, 09:38

Spitzkunnersdorf/Cottbus (dpa) l Hinter dem schweren grauen Vorhang oben auf der Bühne hängt eine Fototapete mit Dorfidyll. Teile der Ausstattung des Festsaals, den die AfD für den Wahlkampfauftritt von Alexander Gauland im sächsischen Spitzkunnersdorf ausgewählt haben, stammen noch aus DDR-Zeiten. Doch bevor der Parteichef über "zentralistische Bevormundung" aus Brüssel spricht, ist Christian Siegert an der Reihe. Er ist AfD-Direktkandidat im Wahlkreis Zittau, passionierter Jäger und Hobbyfalkner.

Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als Siegert mit dem "rollenden R" der Oberlausitzer Mundart seine Thesen in den Raum stellt. Er sagt: "Die CO2-Steuer ist doch nach meinem Dafürhalten nur eine Steuer, damit sie unsere stark pigmentierten Flüchtlinge ganz einfach finanzieren können." Und: "Ich möchte nicht, dass meine Enkeltöchter mit Kopftuch und Gebetsteppich in die Schule gehen." Kräftiger Applaus.

Der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla (44) ist an diesem Abend der Dritte im Bunde auf der Bühne. Er kandidiert zwar nicht bei dieser Landtagswahl. Dennoch könnte er von einem guten Abschneiden der AfD in Sachsen und Brandenburg am kommenden Sonntag und in Thüringen, wo im Oktober gewählt wird, profitieren. Denn in den Ost-Verbänden gibt es viele Parteimitglieder, die meinen, dass dann der Zeitpunkt für eine stärkere Präsenz des Ostens im Bundesvorstand gekommen wäre.

Chrupalla wird als Kompromisskandidat für den Parteivorsitz gehandelt. Dem rechtsnationalen "Flügel" um den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke gehört der Malermeister nicht an. Durch seinen Besuch beim zurückliegenden Jahrestreffen des "Flügels" hat er sich aber nach rechts offen gezeigt. Ob er beim Bundesparteitag Ende November dann gegen Parteichef Jörg Meuthen antreten will oder sich für den zweiten Chefposten bewirbt, will er nicht sagen. "Das habe ich mir noch nicht überlegt, und es ist auch gar nicht gesagt, dass ich als Bundesvorsitzender kandidieren werde", sagt Chrupalla.

Der Co-Vorsitzende Alexander Gauland hat angedeutet, er wolle womöglich nicht mehr antreten. Der 78-Jährige will sich aber erst auf dem Parteitag entscheiden – wenn klar ist, wer sonst noch kandidiert.

Infografik: AfD verliert im Osten an Boden | Statista Mehr Infografiken finden Sie bei Statista

Bei einem Wahlkampftermin in Südbrandenburg – gemeinsam mit Co-Fraktionschefin Alice Weidel und dem AfD-Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz in Peitz bei Cottbus – steht Gauland nicht im Mittelpunkt. Vor Weidel bildet sich eine Schlange von AfD-Anhängern, die alle Selfie-Fotos mit ihr schießen wollen.

Brandenburgs AfD-Chef Kalbitz ist kein Mann der schnörkeligen Worte. Er kommt schnell auf den Punkt. "Das ist die Heimat des deutschen Volkes und keiner beliebigen Bevölkerung", sagt er bei einem Wahlkampftermin der AfD-Nachwuchsorganisation "Junge Alternative" in Cottbus. Für ihn als Regierungschef würden sich nach dem jüngsten ZDF-"Politbarometer" der Forschungsgruppe Wahlen nur 8 Prozent entscheiden, falls er im Duell mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) antreten würde – Woidke kam dabei auf 61 Prozent. Die AfD als Partei schnitt in der Umfrage besser ab: mit 20 Prozent lag sie knapp hinter der SPD (21 Prozent).

"Wir setzen einen Kurs, in dem Heimat wieder Heimat bedeutet", sagt Kalbitz. Was heißt das? Laut Wahlprogramm setzt die AfD Brandenburg auf nationale Identität, Familie und innere Sicherheit. Sie will keine multikulturelle Gesellschaft, sondern eine Familienpolitik, die für eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung sorgt. Kalbitz hofft, dass seine Partei bei der Wahl stärkste Kraft wird. Er rechnet dann mit einem Bündnis der anderen Parteien gegen die AfD. "Ich glaube, langfristig werden sich da Optionen bieten", sagte er am Dienstag im ZDF.

Der frühere Fallschirmjäger wird zum rechtsnationalen "Flügel" von Björn Höcke innerhalb der AfD gezählt. Er provoziert gern. 2007 nahm Kalbitz an einem Pfingstcamp der rechtsextremen "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ) teil. Später führte er den rechtsextremen Verein "Kultur- und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit", den der Ex-SS-Hauptsturmführer und NPD-Funktionär Waldemar Schütz mitbegründet hatte. Nachdem dies 2015 bekannt wurde, legte Kalbitz den Vereinsvorsitz nieder. Im ZDF sagte er: "Es gibt keine rechtsextreme Biografie, man kann sagen, es gibt Bezüge." Brandenburgs CDU-Landeschef Ingo Senftleben will nach einem möglichen Wahlerfolg mit allen reden – eine Regierung mit der AfD hat er ausgeschlossen.

Infografik: Wo die AfD die meisten Mitglieder hat | Statista Mehr Infografiken finden Sie bei Statista

Die CDU Sachsen hat sich zwar ebenfalls gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD nach der Wahl ausgesprochen. Doch Chrupalla meint, da sei noch nicht aller Tage Abend: "Werden wir mal sehen, was nach dem 1. September passiert, und welche Konstellationen es gibt, welche Bündnisse entstehen werden, vielleicht gibt es eine Minderheitsregierung, vielleicht braucht man doch einige Stimmen der AfD, um Regierungsverantwortung zu übernehmen." Er sei gespannt, was passiert, sollte Ministerpräsident Michael Kretschmer das Direktmandat in Görlitz nicht gewinnen, "ob es dann eine gewisse Palastrevolution in der CDU gibt".

Darauf hofft auch Sachsens AfD-Spitzenkandidat Jörg Urban. Beim Blick auf seine Biografie würde man den 55-Jährigen eher im linken Lager vermuten. Urban war früher bei den Piraten und Geschäftsführer des Umweltverbandes Grüne Liga. Heute ist er strikt gegen einen Kohleausstieg. "Ich bin sehr optimistisch, dass die AfD früher oder später in Regierungsverantwortung kommt und das Land wieder in die richtige Richtung lenken wird", sagt Urban. Die AfD sieht er im Fahrwasser von US-Präsident Donald Trump segeln: "Für uns muss gelten: Deutschland zuerst."

Während Urban in Interviews und bei Wahlforen einen seriösen Eindruck vermittelt, entwirft er vor den eigenen Anhängern ein schlichteres Weltbild – wie beim Wahlkampfauftakt am 14. Juli in Lommatzsch (Landkreis Meißen). Dann sind Grüne Ex-Maoisten und Ex-Kommunisten, dann fordert er "Meinungsfreiheit statt Gesinnungsschnüffelei". Asylsuchende nennt er "Fachkräfte für Sozialbetrug". Tosenden Applaus gibt es, als Sachsens AfD-Generalsekretär Jan Zwerg den Wahlkampf als "Jagdsaison" für eröffnet erklärt.

Im Festsaal in Spitzkunnersdorf beginnt nach den Reden die Fragerunde. Ein Besucher merkt an, Deutschland habe bis heute keine Verfassung. Ein anderer Wähler will wissen, warum er nach langen Berufsjahren als Koch heute nicht mehr Rente bekomme als sein arbeitsloser Nachbar. Dann streben alle dem Ausgang zu. An der Grund-Unzufriedenheit der Besucher hat dieser Abend mit der AfD nichts geändert. Doch man fühlt sich vielleicht weniger allein.