1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Rückkehr von Teil- auf Vollzeit gescheitert

Koalition Rückkehr von Teil- auf Vollzeit gescheitert

Die Regierung lässt ein Gesetz scheitern, das Millionen Frauen Verbesserungen bringen sollte. Schulz macht umgehend Wahlkampf.

23.05.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Martin Schulz schaltet in den Kampfmodus. Einen Tag nach der chaotischen Präsentation des SPD-Wahlprogrammentwurfs ohne den SPD-Kanzlerkandidaten steht Schulz in der SPD-Zentrale und wettert gegen die CDU-Kanzlerin. Schulz gibt Angela Merkel die Schuld daran, dass das geplante Recht zur Rückkehr von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitstelle gescheitert ist: „Verantwortung dafür trägt eindeutig die Vorsitzende der CDU, Angela Merkel, die ganz offensichtlich mit dieser Entscheidung zu einem Ende der ordnungsgemäßen Zusammenarbeit in der Großen Koalition kommen will.“ Doch ein zeitgleicher Auftritt der Kanzlerin zwei Kilometer entfernt lässt ahnen: Schulz dürfte sich in nächster Zeit die Zähne an Merkel ausbeißen – auch wenn er in Vollzeit den Angreifer gibt.

Eigentlich hätte die Kanzlerin eine ideale Gelegenheit, bei der Festveranstaltung am noblen Berliner Gendarmenmarkt der SPD in puncto soziale Gerechtigkeit Paroli zu bieten. Sie spricht zum 100. Jubiläum des Sozialverbands Deutschland, der mit energischen Forderungen nach mehr Solidarität durchs Land zieht. Nimmt sie das zum Anlass, die Führerschaft beim Sozialen zu beanspruchen?

Merkel bleibt äußerst zurückhaltend. Sie lobt zwar soziales Engagement und verspricht, deutsche Sozialstandards auch in Europa zu verteidigen. Doch zu teuer dürften soziale Reformen nicht werden, so ihre Kernbotschaft. Am Beispiel des Bundesteilhabegesetzes für Menschen mit Behinderungen unterstreicht sie: „Wie bei allen Sozialleistungen müssen wir natürlich auch auf die Kosten schauen – es geht um das Geld der Steuerzahler.“ Merkel zeigt damit auch, dass sie sich von Schulz nicht zum Jagen nach mehr sozialer Gerechtigkeit tragen lassen will.

Noch ist unklar, welcher Partei das Scheitern des im Grundsatz gemeinsam in der Koalition verabredeten Rechts auf befristete Teilzeit nutzt oder schadet. Die SPD will damit nun in den Wahlkampf ziehen. „Für mich ist das Thema nicht vom Tisch“, kündigt Arbeitsministerin Andrea Nahles an. „Ich werde mich weiterhin vehement für die Rechte von Frauen am Arbeitsmarkt einsetzen.“ Derzeit sieht es freilich nicht so aus, als ob solche SPD-Ankündigungen das Ruder herumreißen und das Schulz-Tief beenden könnten. Die Linken-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht ätzt: „Mit welchem Koalitionspartner will die SPD das eigentlich nach der Bundestagswahl umsetzen?“

Das Nachsehen – so sehen es zumindest SPD und Gewerkschaften – haben erstmal Millionen Frauen. Der Nahles-Entwurf sah das Rückkehrrecht vor, wenn das Arbeitsverhältnis mehr als sechs Monate bestanden hatte. Rund 15 Millionen Teilzeitbeschäftigte gibt es derzeit. Der Forschungsbereichsleiter des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Enzo Weber, sagt: „Vor allem die Frauen haben ihre Erwerbsbeteiligung über Jahre und Jahrzehnte gesteigert.“ Sie nähmen dabei verstärkt Teilzeit in Anspruch – mehrheitlich freiwillig. Unfreiwillige Teilzeit gebe es aber auch – „vor allem bei Frauen, die in der Teilzeitfalle hängen bleiben, wenn sie wegen der Kinder die Arbeitszeit reduziert hatten“.Das Scheitern des Teilzeitgesetzes ist aber keineswegs mit einer kompletten Einstellung des schwarz-roten Regierungshandelns zu verwechseln – auch nicht im Sozialen. So dürfte aus der geplanten Reform für eine Verbreiterung der Betriebsrenten noch etwas werden. Voraussichtlich kommende Woche soll es nach wochenlangem Gezerre eine Einigung geben, verlautete glaubhaft aus der Koalition. Nahles will das unbedingt.

Und beim Sozialverband sagt Merkel: „Bei der betrieblichen Altersvorsorge hoffe ich, dass jetzt bald das Gesetz noch verabschiedet werden kann.“ Soviel Große Koalition war zuletzt selten.