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Konflikt Der ewige Glaubenskrieg am Golf

Die Spaltung des Islam ist wesentliche Ursache für den Konflikt im Nahen Osten.

Von Steffen Honig 19.09.2019, 01:01

Teheran l Das Szenario am Golf erinnert an die Fronten zwischen Katholiken und Protestanten im christlichen Mitteleuropa vor dem Dreißigjährigen Krieg. Der blutige Kampf zwischen traditionellem und neuem Glaube verwüstete letztlich den halben Kontinent, der sich nur sehr mühsam von dieser Apokalypse erholte.

Der Islam, im 7. Jahrhundert in Arabien enstanden, kennt ebenfalls zwei grundsätzliche Glaubensrichtungen: Schiismus und Sunnismus. Anders als im Christentum bedarf das Kräfteverhältnis keiner Klärung. 90 Prozent der weltweit rund 1,6 Milliarden Muslime sind Sunniten, nur zehn Prozent Schiiten.

Das Auseinandergehen beider Glaubensrichtungen fußt auf dem Tod des Propheten Mohammed. Die Sunniten betrachten in dessen Berater Abu Bakr, den ersten Kalifen, den Nachfolger des Propheten. Die Schiiten aber sehen einzig Mohammeds Schwiegersohn Ali in dieser Rolle und erkennen das Kalifat nicht an. Ein wesentlicher Unterschied ist zudem die stärkere Verknüpfung von weltlicher und geistlicher Macht im Schiismus.

Augenfällig wird dies im Iran, der neben Saudi-Arabien im Zentrum der gegenwärtigen Krise am Golf steht. Seit der islamischen Revolution von 1979, durch die Ajatollah Chomeini an die Macht kam, ist der oberste geistige Führer gleichzeitig die höchste Instanz in Staatsangelegenheiten. Der Präsident, derzeit Hassan Ruhani, bestimmt die Tagespolitik, rangiert aber unter dem geistigen Oberhaupt Ajatollah Ali Khamenei.

Für die sunnitischen Muslime gibt es seit der Abschaffung des letzten Kalifats durch die türkische Regierung 1924 keine oberste geistige Instanz mehr. Die Sunniten, denen Name sich von Sunna gleich Brauch ableitet, praktizieren ihren Glauben gemäß der Überlieferung durch den Propheten.

Wie die Karte zeigt, sind die schiitischen Iraner praktisch von Sunniten eingekreist. Unterstützung finden sie dort, wo es starke und einflussreiche Minderheiten von Schiitten gibt. Dazu gehört der Irak, der aber nach dem Krieg nur noch ein Spielball der Interessen anderer Mächte ist. Hinzu kommen Syrien und Libanon. Im Jemen bilden die schiitischen Huthi-Rebellen, die möglicherweise hinter den Drohnen-Anschlägen in Saudi-Arabien stecken, die fünfte Kolonne des Teheraner Regimes.

Irans Erzfeind Saudi-Arabien ist ein Sonderfall des Sunnismus. Das Königreich hängt dem Wahabismus an. Dieser orthodoxe Glaubenszweig nimmt für sich in Anspruch, den einzig wahren Islam zu vertreten. Daher folgt das Leben der Saudis strengen Regeln: Frauen ist es noch immer verboten, sich öffentlich mit fremden Männern zu zeigen, Scharia-Strafen wie Hinrichtungen und Auspeitschungen werden in aller Öffentlichkeit vollstreckt, die freie Religionsausübung ist verboten. Ein Lichtblick: Seit dem Vorjahr ist saudischen Frauen das Autofahren erlaubt.

Liberalere sunnitische Staaten verbindet mit Saudi-Arabien aber eine Furcht: Unter die Fuchtel des Irans und damit der Schiiten zu geraten.

In Mitteleuropa schuf der Westfälische Frieden von 1648 die Basis für ein Nebeneinander der Religionen. Der Konflikt wurde nicht aufgehoben, aber eingedämmt. Am Golf muss das wie eine Fata Morgana wirken.