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Machtübernahme Ist nach der Diktatur vor der Diktatur?

Das Militär hat den Langzeit-Diktator weggeputscht, aber im Sudan herrscht keine Euphorie. Es zeichnen sich Enttäuschung und Widerstand ab.

12.04.2019, 23:01

Khartum (dpa) l Die Militärführung im Sudan hat nach ihrem Putsch Kritik an ihrer Machtübernahme zurückgewiesen und versprochen, möglichst bald einer zivilen Regierung Platz zu machen. Die Streitkräfte hätten „überhaupt keine Ambitionen, an der Macht festzuhalten“, sagte Omar Sain al-Abdin, der Leiter des politischen Gremiums der Militärregierung, gestern in Khartum.

Das Militär werde während der Übergangsphase lediglich für Sicherheit und Stabilität sorgen. „Ich schwöre, wir werden die Forderungen der Menschen unterstützen“, versprach er vor Journalisten. Das Militär hatte den Langzeitmachthaber Omar al-Baschir am Donnerstag abgesetzt.

Die Lösungen der Probleme im Sudan müssten von den Menschen selber kommen, sagte Al-Abdin. Die Sudanesen müssten die politische Zukunft des Sudans gestalten. „Wir werden uns nicht einmischen.“ Das Militär habe „keine Ideologie“. Er bat die Menschen im Sudan, sich hinter die Streitkräfte zu stellen.

Das Militär will nach eigenen Angaben maximal zwei Jahre an der Macht bleiben, um den Weg für freie Wahlen zu ebnen. Sollte sich die Lage schnell verbessern und sollten die Sudanesen schon eher Lösungen finden, „werden wir zur Seite treten“, versprach Al-Abdin.

In den Monaten vor dem Putsch hatte es Massenproteste gegen die Politik des seit 30 Jahren regierenden Al-Baschir gegeben. Das Militär führte diese als Rechtfertigung ihrer Machtergreifung an und stellte Al-Baschir als Machthaber dar, der kein Ohr mehr für die Probleme der Menschen gehabt habe. Die Staatsführung habe mit Gewalt reagieren wollen und jegliche politischen und wirtschaftlichen Probleme ignoriert, sagte Al-Abdin. Deshalb habe man entschieden, dass „eine Veränderung stattfinden muss“.

Der neue starke Mann ist der bisherige Vizepräsident und Verteidigungsminister Awad Ibn Auf. Ein demokratischer Neuanfang sieht anders aus: Der neue starke Mann im Sudan ist ein Vertreter der alten Garde. Der pensionierte General Awad Ibn Auf war ein enger Weggefährte des von ihm abgesetzten Präsidenten Omar al-Baschir. Seit 2015 war er sein Verteidigungsminister, zuletzt auch sein Vizepräsident. Und bereits Anfang des Jahrtausends half er Al-Baschir den blutigen Konflikt in der westlichen Provinz Darfur zu steuern. Kritiker meinen deshalb, der Chef der neuen Militärregierung habe viel Blut an seinen Händen.

Awad Ibn Auf verhängte jetzt für drei Monate den Ausnahmezustand und ordnete eine Ausgangssperre an. Zudem erklärte er das Parlament und andere staatlichen Institutionen für aufgelöst. Die Justiz soll aber weiterarbeiten. Al-Baschir wurde festgenommen. Ihm soll im Sudan der Prozess gemacht werden. Eine Auslieferung an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, der ihn wegen Massaker im Westsudan während der Darfurkriege sucht, lehnt das Militär ab.

Oppositionsgruppen verurteilten den Putsch, forderten eine zivile Übergangsregierung und kündigten weitere Demonstrationen an. Am Freitag protestierten erneut Tausende Menschen mit einer Sitzblockade vor der Militärzentrale in Khartum, wie ein dpa-Reporter berichtete.

Auch aus dem Ausland kamen etliche kritische Stimmen. „Ich rufe die Regierung auf, auf die Forderungen der Menschen einzugehen“, sagte UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet. „Es müssen gemeinsame Anstrengungen unternommen werden, unter sinnvoller Beteiligung der Zivilgesellschaft, um die beklagten Missstände zu beseitigen.“ Die USA hatten zuvor die neuen Machthaber aufgerufen, Zivilisten an der Regierung zu beteiligen. „Die sudanesische Bevölkerung sollte bestimmen, wer sie in Zukunft führt“, sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums in Washington.

Auslöser der Massenproteste war im Dezember eine Erhöhung der Benzin- und Brotpreise gewesen. Der Sudan mit rund 41 Millionen Einwohnern gehört zu den 25 ärmsten Länder der Welt, befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise. Seit vorigem Sonnabend spitzten sich die Demos mit einer Sitzblockader Zehntausender vor der Militärzentrale und Residenz Al-Baschirs in Khartum zu. Tausende wurden festgenommen. Nach Angaben des Menschenrechtsbüros starben bei den Protesten seit Dezember bis zu 70 Menschen.