Matthias PlatzeckDer Russland-Erklärer

Die russische Seele ist gedemütigt, sagt Matthias Platzeck in Magdeburg. Dafür gibt es Applaus.

23.02.2017, 16:09

Magdeburg l Matthias Platzeck wird gerufen, wenn die Fronten verhärtet sind, es weder vor noch zurück geht. Der ehemalige Ministerpräsident des Landes Brandenburg hat in den vergangenen Jahren so manchen Streit geschlichtet, etwa bei der Bahn und der Lufthansa. Platzeck könne gut zuhören, er zeige Verständnis für beide Seiten und kann Kompromisse aufzeigen. Seit fast drei Jahren ist Platzeck Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Platzeck ist in schwierigen Zeiten Russland-Versteher. In Magdeburg ist er auch Russland-Erklärer. Für seine Thesen über den Zustand der russischen Seele, die Entfremdung zwischen Russland und Europa und den Wert der Sanktionen gibt es in der voll besetzten Johanniskirche viel Applaus.

Platzeck spricht von seinen Reisen durch das Land, von Begegnungen mit Menschen. Er sagt, Russland sucht nach dem Zerfall der Sowjetunion noch immer nach seiner Identität. „Der Supermacht-Status war weg, die kommunistische Klammer war verschwunden“, erklärt er. Platzeck ist an diesem Abend in seiner Rolle, in der des Schlichters. Für Annäherung dürfe nicht nur auf Fehler des anderen geschaut werden, mahnt er. Welche Fehler hat also der Westen begangen? Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs habe der Westen Russland an den Rand gedrängt, sagt Plat- zeck. „Russland fühlte sich gedemütigt“, erklärt er. Was Platzeck bei seinen Aussagen bewusst verschweigt oder vergisst: Russlands Rolle nach dem Zweiten Weltkrieg und auch nach dem Zerfall des Ostblocks ist durchaus eine gewichtige gewesen: Vetomacht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, Mitglied der G8, Mitglied im Europarat.

Dass die von Platzeck beschriebene Demütigung im russischen Volk auch als Entschuldigung für eigene Fehler gesehen wird, beschreibt der ehemalige Moskau-Korrespondent der ARD, Bernd Großheim. Nicht selten habe er den Satz gehört: „Die Amerikaner sind schuld.“ Auch die Schwierigkeiten der russischen Wirtschaft durch die Sanktionen der Europäischen Union nach der russischen Annexion der Krim würden viele Russen auf den Westen schieben, behauptet Matthias Platzeck. Der Chef der Industrie- und Handelskammer Magdeburg (IHK), Klaus Olbricht, sagt, die Sanktionen träfen vor allem die Menschen. ARD-Journalist Großheim widerspricht: Die einfachen Bürger seien besonders von den Gegensanktionen der russischen Seite betroffen, etwa dem Einfuhrstopp für Obst und Gemüse oder Milchprodukten aus der EU. Großheim ist an diesem Abend der Gegenpol zum Russland-Erklärer Platzeck. Das gefällt nicht jedem im Publikum.

Nach den Sanktionen habe die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt versucht, Kontakte mit russischen Unternehmen zu halten, berichtet IHK-Chef Olbricht. Vollkommen gelang das nicht. Seit 2014 sanken die Exporte nach Russland jedes Jahr. Unternehmen im Land konnten allerdings andere Märkte erschließen, etwa in den USA. Russische Unternehmen sehen sich nun verstärkt nach anderen Partnern um, sagt Olbricht.

Platzeck sieht in den Sanktionen einen Beitrag zur Entfremdung zwischen Russland und Europa. Bei Auftritten in Westdeutschland beobachte er wachsende Skepsis gegenüber Russland. Im Osten begegneten ihm hingegen noch immer Menschen, die tiefe Verbindungen zum russischen Volk haben und die Sprache sprechen. „Aber das wächst nicht nach“, sagt Plat-zeck. „Davor habe ich Angst.“ Deutsch-russischer Austausch gehe mehr und mehr zurück. Deshalb plädiere er dafür, junge Leute aus Russland ohne Visum in die EU einreisen zu lassen. „Das würde viel entkrampfen und der Entfremdung entgegenwirken“, erklärt Platzeck.

Sprachwissenschaftlerin Gudrun Goes widerspricht. Nach wie vor gebe es kulturellen Austausch, auch an der Universität Magdeburg. „Im Kleinen findet ganz viel statt“, sagt Goes. Viele Russen wollen gute Beziehungen zu Deutschland. Goes: „Wir brauchen also nur die Hände auszustrecken.“