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Parlamentswahl Die glücklichen Wähler von Norwegen

Am 11. September wählen die Norweger eine neue Regierung. Dabei gibt es einige Unterschiede zu Deutschland.

08.09.2017, 23:01

Oslo (dpa) l Auch in Norwegen ist der Wahlkampf in die heiße Phase getreten. Politiker duellieren sich jeden Abend im Fernsehen, die konservative Ministerpräsidentin Erna Solberg tourt durchs Land und posiert für Selfies in Altersheimen und die Sozialdemokraten gehen von Haus zu Haus und verteilen Rosen. 

Am 11. September sollen die Bürger dieses Landes, das dem Human Development Index zufolge in der Welt am weitesten entwickelt ist, ein neues Parlament wählen. Doch die Politiker haben es schwer, den Wählern zu vermitteln, dass sie es noch besser machen können als ihre Vorgänger. Denn Norwegen mit seinen 5,23 Millionen Einwohnern rangiert ja schon jetzt in Sachen Lebensstandard, Zufriedenheit und Grad an Demokratie auf den vordersten Plätzen.

Die Meinungsumfragen spiegeln die Unentschlossenheit der Wähler wider. Sowohl die sozialdemokratische Arbeiterpartei (AP) als auch die konservative Høyre (H) bleiben demnach unter 30 Prozent und müssen sich mehr als einen Koalitionspartner suchen.

Doch das ist nicht so einfach in Norwegen. „Wir haben viele kleine Parteien, die spezielle Gruppen repräsentieren wie zum Beispiel Christen oder Landwirte“, erklärt der Politikwissenschaftler Johannes Bergh vom Osloer Institut für Gesellschaftsforschung. „Die können sich schwer einigen, und deshalb kommt es in Norwegen selten zu Koalitionen aus vielen Parteien, die eine Mehrheit bilden können.“

Seit 1945 war in Norwegen häufiger eine Minderheits- als eine Mehrheitsregierung an der Macht. Die letzten vier Jahre wurde das Land von einer Koalition aus Høyre und der rechtspopulistischen Fortschrittspartei (FRP) regiert – eine Konstellation, die nur funktioniert hat, weil zwei weitere kleine Parteien, die christliche KRF und die liberale Venstre, zugesagt haben, die Regierung zu unterstützen.

Das sorgte für einige Querelen, denn zum Beispiel beim Thema Einwanderung liegen die Rechtspopulisten und die Christen weit auseinander. Deshalb wird dieses Vierergespann so wohl nicht fortgesetzt. Die regierende Ministerpräsidentin Erna Solberg hat damit ein Problem bei der Mehrheitsbeschaffung.

Die Arbeiterpartei mit ihrem Spitzenkandidaten Jonas Gahr Støre auf der anderen Seite hat dasselbe Problem. Auch sie kann nicht ohne die Unterstützung anderer Parteien im linken Spektrum regieren. Doch die Forderung der Grünen zum Beispiel, die Investitionen in die Ölförderung zu stoppen, geht für die Sozialdemokraten zu weit. Es bleibt also spannend.

Das Besondere an Norwegen ist, dass sich die Parteien, sind sie erst einmal ins Parlament gewählt, zusammenraufen müssen. „Das Parlament in Norwegen hat nicht das Recht, sich aufzulösen“, sagt der Politikwissenschaftler Bergh. „Wir wählen alle vier Jahre ein neues Parlament, und wenn eine Regierung Probleme bekommt und abtreten muss, gibt es keine Neuwahlen.“ Dann müssten andere Parteien eine Regierung bilden. So einfach ist das.

Ministerpräsidentin Solberg sieht darin auch Vorteile. „Wir haben eine gute Kultur der Zusammenarbeit“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur in ihrer Halbzeitbilanz. In der norwegischen Politik seien die Parteien kompromissbereit. „Man muss zusammenarbeiten und kann eben nicht alles tun, was man sich gedacht hat.“ Auch wenn man von Journalisten und Wählern hinterher gescholten werde, dass Wahlversprechen nicht eingehalten wurden.

Rebecca Borsch von der Partei Venstre, die mit der Høyre/FRP-Regierung ein Abkommen zur Zusammenarbeit hat, sieht in der Konstellation eine Stärkung des Parlaments. „Die Regierung kann nicht einfach alles durchdrücken, wie es ihr passt.“ Bei umstrittenen Entscheidungen müsse sie andere Parteien mit ins Boot holen. „In Deutschland, wo man ja sehr auf Stabilität aus ist, würde man das sicher als Schwäche sehen“, meint die Deutsche mit Ambitionen auf einen Platz im norwegischen Parlament. „Das hat sicherlich auch mit der deutschen Geschichte zu tun. Man ist eben sehr auf stabile politische Verhältnisse bedacht, während man hier mehr Wert darauf legt, dass der Parlamentarismus auch gelebt werden kann.“

Dass in Norwegen Minderheitsregierungen funktionieren, liegt aber auch am Reichtum und wie er verteilt ist. „Die sozialen Unterschiede sind weniger groß als in anderen Ländern“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Roberto Iacono von der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens in Trondheim. „Und das mindert das Konfliktpotenzial.“

Seit Norwegen Ende der 60er auf die erste wirtschaftlich nutzbare Erdölquelle stieß hat das Land viel Geld verdient. Das hat nicht nur den Staat besser gestellt, durch Investitionen in Bildung, Gesundheit, Verkehr und Wirtschaft hat jeder vom neuen Reichtum profitiert. Eigenheim, Allradantrieb, Boot und Hütte – für viele gehört das zur Grundausstattung.

Die Norweger klagen jedenfalls wenig über ihre Regierung. Der Wille der Wähler wird vermutlich auch am Wahlabend eher diffus bleiben.