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Pöbelei Gabriel und der "Stinkefinger"

Der Vizekanzler wird auf dem Weg zur Wahlkampfveranstaltung angepöbelt und reagiert.

17.08.2016, 23:01

Berlin (dpa) l Sigmar Gabriel ist bekannt dafür, dass er nicht immer stromlinienförmig durchs Leben gleitet. Der SPD-Chef eckt in aller Regelmäßigkeit an, hält mit Launen nicht hinter dem Berg, teilt auch mal kräftig aus. Nun macht der Vizekanzler mit einer Geste der besonderen Art von sich reden: einem „Stinkefinger“. Schadet ihm das – oder kann es ihm sogar nützen?

Freitag in Salzgitter: Gabriel ist auf dem Weg zu einer Wahlkampfveranstaltung im Ratskeller. Bei einem kurzen Termin im Rosengarten um die Ecke taucht plötzlich ein Trupp vermummter rechter Demonstranten mit schwarz-rot-goldenen Masken auf. Die beschimpfen Gabriel als „Volksverräter“ und grölen: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ Gabriel schaut einigermaßen belustigt, schenkt dem Auflauf ein müdes Lächeln und winkt ab. Zum Schluss zieht er die rechte Hand aus der Hosentasche, zeigt den Pöblern den ausgestreckten Mittelfinger und dreht sich weg. Kalte Schulter.

Erst am Dienstag taucht ein Clip von dem Vorfall im Internet auf. Die „Jungen Nationaldemokraten“ Braunschweig – die Jugendorganisation der rechtsextremen NPD –, die offenbar hinter der Aktion stecken, stellen ein Video von der Pöbelei ins Netz. Das verbreitet sich aber erst richtig, als die Gruppe „Antifa Kampfausbildung e.V.“ es auf ihrer Facebook-Seite postet.

Schnell wird der Film Zehntausende Male angeklickt und eifrig kommentiert. Selbst jene, die mit Gabriels Politik nicht viel anfangen können, loben ihn auf der Antifa-Seite: „Vielleicht das erste Mal, dass mir der Typ sympathisch ist“, steht da zum Beispiel, „einzige adäquate Reaktion“, „ausnahmsweise macht er es mal richtig, der Siggi“, „macht ihn glatt wieder wählbar“. Oder: „Ein Beweis dafür, dass Siggi auch nur ein Mensch ist.“

Auf der Seite der Rechten fallen die Kommentare freilich etwas anders aus. Gabriel ist zu einem Feindbild von Rechtsextremen geworden. In der Asyldebatte hat sich der SPD-Chef mit harten Worten hervorgetan. Im vergangenen Sommer besuchte Gabriel etwa eine Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau, wo es kurz zuvor zu Ausschreitungen gegen Asylbewerber gekommen war. Gabriel nannte die Verantwortlichen „Pack“. Danach bekam die SPD-Zentrale massenhaft rassistische Hassmails, beleidigende Anrufe und Drohungen.

Aber darf ein Kanzlerkandidat das – den „Stinkefinger“ zeigen? Peer Steinbrück hat damit nicht so gute Erfahrungen gemacht. Der damalige SPD-Spitzenmann grüßte 2013 – eine Woche vor der Bundestagswahl – mit einem „Stinkefinger“ vom Titel des Magazins der „Süddeutschen Zeitung“. Das Bild entstand in einem Ohne-Worte-Interview, in dem Prominente nur mit Gestik und Mimik antworten dürfen.

Steinbrück wurde nach fiesen Spitznamen gefragt und entschied sich als Antwort für den ausgestreckten Mittelfinger plus genervten Gesichtsausdruck. Ja, es war lustig gemeint, ironisch. Trotzdem hagelte es Kritik, etwa vom damaligen FDP-Chef Philipp Rösler. Der befand: „Die Geste verbietet sich als Kanzlerkandidat. So etwas geht nicht.“

Aber bei Gabriel ist die Lage eine andere. Er hat nicht Lesern, Jugendlichen oder Fans den Mittelfinger hingestreckt, sondern Rechten. Das zu kritisieren, ist schwerer.

SPD-Leute verkaufen seine Gegenwehr gegen Fremdenfeinde ohnehin als großes Plus, preisen seine Authentizität bei diesem Thema, seine menschliche Seite. Ein „Stinkefinger“ gegen Neonazis fügt sich da aus ihrer Sicht gar nicht schlecht ein. „Das schadet ihm definitiv nicht“, meinen viele SPD-Kreise.