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Polen Botschafter: "Reparationen nicht geregelt"

Polens Botschafter, Andrzej Przyłebski, verteidigt im Volksstimme-Interview den politischen Wandel in seiner Heimat.

Von Steffen Honig 18.09.2017, 01:01

Volksstimme: Die PiS-Regierung in Polen krempelt das Land gründlich um. Zuletzt sorgte die Schulreform, die 40 .000 Lehrer um den Arbeitsplatz bangen ließ, für Demonstrationen. Warum dieser Kraftakt?

Andrzej Przyłębski: Diese Regierung ist nicht nur demokratisch gewählt, sondern wird von 40 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Sie verwirklicht die Reformen, die sie versprochen hat, wie in der Bildung auch. Ich bin nicht nur Diplomat, sondern auch Universitätsprofessor. Das dreistufige System der 1990er Jahre hat die Ausbildungsqualität verschlechtert. Dieses Experiment ist gescheitert. Zudem geriet die Berufsbildung ins Hintertreffen. Für mich ist die Rückkehr zum zweigliedrigen System eine Rettung. Das bezieht sich auch auf zeitgemäße Inhalte. Die Leute sind mehrheitlich zufrieden, nur die Eliten sind es nicht.

Und was ist mit den Tausenden Lehrern?

Diese Lehrer werden nicht entlassen, sondern umgesetzt.

Von EU-Partnern werden vor allem die Reformen in der Justiz kritisiert. Zu Recht?

Nein. Die Justizreform wurde von der PiS-Partei vor der Wahl angekündigt. 70 bis 80 Prozent der polnischen Bevölkerung waren sehr unzufrieden mit dem Justizapparat. Der polnische Präsident hat die Richtung der Reformen auch korrigiert und zwei von drei Gesetzen müssen neu geschrieben werden. Selbstverständlich werden Richter protestieren, weil sie um ihre Privilegien fürchten.

Aber die staatlichen Eingriffe ins Mediensystem haben wenig mit demokratischen Spielregeln zu tun.

Bei den Medien geht es nicht um gedruckte Erzeugnisse, sondern nur um die zwei staatlichen Fernsehkanäle. Daneben gibt es aber mehrere private Sender, in denen die Opposition zu Wort kommt. Die Eingriffe mussten sein, weil nach dem Regierungswechsel auf vier, fünf Kanälen Katastrophenstimmung verbreitet wurde. Die Regierung musste einen Kommunikationskanal zur Bevölkerung finden, um die Umbrüche ankündigen zu können. Ich jedenfalls finde, dass die staatlichen Programme trotz manchmal zu eindeutigem Ton besser und der Wahrheit näher sind als die Privatsender.

Europa hat Polen eine Menge gegeben, Polen hat zunächst auch vieles zurückgegeben. Aber jetzt ist der Kanal zwischen Warschau und Brüssel gestört. Marschiert Polen in Richtung EU-Austritt?

Auf keinen Fall. Wir sind große EU-Enthusiasten. Die Regierung passt sich an die Meinung der Bevölkerung an, die zu 70 Prozent hinter der Mitgliedschaft in der Europäischen Union steht. Das Problem ist die Richtung, in die Europa geht. Der Brexit sollte von der EU-Spitze als Warnung empfunden worden sein. Das ist nicht der Fall. Man hat den Eindruck, dass die Leute in Brüssel glücklich sind, dass die Briten austreten. Wir sind für Reformen. So wollen wir mehr Gewicht für den Europäischen Rat der Regierungen. Die EU-Kommission sollte verwalten und nicht die Politik diktieren.

Bei der Kritik an der polnischen Flüchtlingspolitik wird oft vergessen, dass Polen rund eine Million ukrainische Flüchtlinge und Zuwanderer aufgenommen hat. Warum sperrt sich das Land bei Kriegsflüchtlingen?

Als der Quotenbeschluss in der EU fiel, hat die Tusk-Regierung die Visegrad-Gruppe – Tschechien, Slowakei, Ungarn und Polen – verraten. Die PiS-Regierung hat das gekippt. Vor einigen Jahren hat eine Stiftung 30 christliche Familien aus Syrien aufgenommen, die in unterschiedlichen Gemeinden gut aufgenommen wurden. Und was ist passiert? Sie waren nach einer Woche alle weg – in Deutschland. Weil hier bekanntermaßen die Sozialleistungen besser sind. Die Menschen müssten also bei uns in Lagern bewacht werden. Das widerspricht der polnischen Mentalität.

Für gewaltige Unruhe sorgen in Deutschland die in Polen aufgetauchten Forderungen nach Milliarden-Reparationen. Was halten Sie davon?

Ich habe nichts dagegen, dass das Thema aufgetaucht ist. Die polnische Seite hat inzwischen zu dieser Frage ein Treffen der Vizepräsidenten von Bundestag und Sejm mit Rechtsexperten angeregt. Das könnte der nächste Schritt sein, um zu einem Ausgleich zu kommen. Reparationen sind nicht geregelt. Man muss darüber reden. Unabhängig davon, wie die Sache ausgeht.

Der polnische Nationalheld Piłsudski saß vor 100 Jahren in Magdeburg in Festungshaft. Erinnert wird in der Stadt daran nirgends. Ein Manko?

Jedes polnische Schulkind hört im Zusammenhang mit Piłsudski von der Stadt Magdeburg. Deshalb wäre Magdeburg für Polen ein interessanter Ort, wenn es auch etwas von Piłsudski zu sehen gäbe. Ich wünsche mir eine ständige Erinnerungsstätte in Form einer Tafel oder Büste in der Innenstadt. Ich verspreche Ihnen: Das wäre auch eine Bereicherung für den Tourismus aus Polen.