1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Benzin-Politik entfacht Krise im Iran

Rationen Benzin-Politik entfacht Krise im Iran

Nach der Benzinpreiserhöhung hatte Irans Präsident Ruhani zwar mit Kritik gerechnet, mit landesweiten Unruhen aber wohl nicht.

20.11.2019, 23:01

Teheran (dpa) l Landesweite Unruhen, viele Tote und unzählige Festnahmen: Der iranische Präsident Hassan Ruhani hat sein Land mit einer wirtschaftspolitischen Entscheidung in eine regelrechte Staatskrise gestürzt. Wegen der durch die harten US-Sanktionen entstandenen Wirtschaftskrise im Land rationierte er das subventionierte Benzin auf 60 Liter im Monat. Für alles darüber müssen die Iraner seit letzter Woche das Dreifache bezahlen. Mehrmals verteidigte Ruhani den Schritt: "Das war eine richtige und notwendige Entscheidung, besonders für dis sozial schwachen Klassen," meint der Präsident.

Wegen der harten US-Sanktionen seien die damit verbunden Einnahmen der einzige Weg, den sozial schwächeren Klassen mehr Subventionen gewähren zu können, wie Ruhani zuletzt immer wieder betont hatte.

Die Iraner – besonders die sozial Schwachen – sehen das anders. Es kam zu landesweiten Protesten, bei denen Tankstellen und öffentlich Einrichtungen in Brand gesetzt wurden. Dabei soll es auch Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei gegeben haben. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach am Dienstag von über 100 Toten seit vergangenem Freitag, Augenzeugen gar von Tausenden. Das steht in krassem Gegensatz zu den Zahlen in staatlich kontrollierten und damit fast amtlichen Medien im Iran, wonach neun Menschen ums Leben gekommen und 1000 festgenommen worden sein sollen.

Zwar halten auch Wirtschaftsexperten Ruhanis Entscheidung für durchaus gerechtfertigt, das Timing jedoch für schlecht. Wegen der US-Sanktionen hat die nationale Währung Rial schon die Hälfte ihres Werts verloren. Mit den höheren Benzin- und somit Transportpreisen, die im Iran als "die Mutter aller Inflationen" gelten, wird der wirtschaftliche Druck auf die Bevölkerung noch größer.

"Nur Gott weiß, was sich Ruhani bei dieser Entscheidung gedacht hat," sagt der 43-jährige Bankangestellte Babak M. aus Teheran der Deutschen Presse-Agentur. Es herrscht wenig Verständnis für den Schritt der Regierung. Befürchtet wird, dass der Rial nach der Preiserhöhung bald noch weniger wert und letztendlich zum "Domino-Geld" werden wird.

Die Proteste der letzten Tage waren die logische Folge. Doch richteten sie sich nicht nur gegen Ruhani und die neuen Benzinpreise, sondern sehr schnell auch gegen die allgemeine Politik des gesamten islamischen Establishments. Auf den Straßen und auch in der Universität Teheran waren etwa Rufe wie "Tod dem Diktator" zu hören. Immer lauter wird auch die Kritik an der Nahostpolitik der Regierung. "Millionen für Syrien, Jemen, Libanon und Gazastreifen ausgeben, aber fürs eigene Volk die Benzinpreise erhöhen ist inakzeptabel", sagt der Student Parham T. stellvertretend für die Kritiker.

Auf Teherans Straßen wurden wegen der Unruhen Hunderte Polizei- und Sicherheitskräfte stationiert. Um die Verbreitung von Informationen, Bilder und Videos zu verhindern, stellte der Nationale Sicherheitsrat das Internet ab. Auch am fünften Tag in Folge blieb das Internet am Mittwoch weitgehend blockiert. Informationen lassen sich deshalb nur schwer überprüfen.

"Protestieren ist das legitime Recht der Bürger, aber Vandalismus ist etwas ganz anderes," sagt Ruhani. Für ihn haben an den gewaltsamen Protesten hauptsächlich "Krawallmacher" teilgenommen, die vom Ausland finanziert und gelenkt worden seien. Einigen der festgenommenen Anführer droht Medienangaben zufolge die Todesstrafe.

Hinter den Unruhen vermutet die iranische Führung ausländische Geheimdienste. Daher wollen auch die Armee und Revolutionsgarden im Notfall eingreifen. "Das mag ja teilweise auch stimmen, aber alle Demonstranten als Söldner abzustempeln (...) – damit machen sich die Herrschaften es auch zu einfach," meint ein Politologe in Teheran. International sorgten die Unruhen und der Umgang mit den Demonstranten für Kritik und Sorge.

Die Proteste richteten zudem massive Sachschäden an. Ruhani müsse jetzt das Mehrfache von den Einnahmen, die er sich von seiner Benzin-Politik erhofft habe, für die Schäden der Unruhen bezahlen, sagt ein Wirtschaftsexperte. Von verschiedenen Seiten wird nun bereits Ruhanis Rücktritt gefordert. Die Hardliner im Parlament planten bereits eine Einbestellung des Präsidenten, um ein Misstrauensvotum gegen ihn einzuleiten.

Für Irans Bevölkerung bleibt indes die Internetsperre ein großes Problem. Sie paralysiert seit Tagen viele Aktivitäten des normalen Lebens. Über 80 Millionen Menschen können weder Mails senden oder empfangen noch auf Kurznachrichtendienste oder Google-Suchen zugreifen. Auch die Arbeit der Medien wurde durch die Sperre enorm beeinträchtigt. "Das kann doch nicht wahr sein, dass einem Land im 21. Jahrhundert das Internet einfach weggenommen wird", so ein IT-Ingenieur in Teheran. Laut Telekommunikationsministerium bleibt das Internet "bis auf weiteres" gesperrt.