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Regierungskrise Nordirland bleibt Großbritanniens Pulverfass

Seit einem Jahr gibt es in Belfast keine Regionalregierung. Für Premierministerin May wird die Situation immer mehr zur Belastung.

07.01.2018, 23:01

Belfast (dpa) l Seit einem Jahr ist Nordirland ohne Regionalregierung. Zusammen mit der Brexit-Unsicherheit über die künftige Grenze zur Republik Irland im Süden ist eine Situation entstanden, die den Friedensprozess in der ehemaligen Bürgerkriegsregion gefährden könnte. Der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten hat in den Jahren 1968 bis 1994 mehr als 3600 Menschenleben gefordert. Die Katholiken kämpften für ein vereinigtes Irland, die Protestanten für ihre Privilegien in einem Nordirland als Teil Großbritanniens.

Bis zum 9. Januar 2017 hatten die beiden größten Parteien aus dem katholischen und protestantischen Lager, Sinn Fein und die DUP (Democratic Unionist Party), miteinander regiert. So sieht es das Karfreitagsabkommen von 1998 vor. Doch die Koalition scheiterte an einem Streit um ein aus dem Ruder gelaufenes Förderprogramm für erneuerbare Energien. Sinn Fein machte DUP-Chefin Arlene Foster, damals Regierungschefin, dafür verantwortlich.

Als Foster sich weigerte, zurückzutreten, gab Sinn-Fein-Politiker Martin McGuinness seinen Posten als Vizeregierungschef auf – und brachte damit die ganze Koalitionsregierung zu Fall. Für die irischen Nationalisten erwies sich das als kluger Schachzug: Bei einer vorgezogenen Wahl konnte Sinn Fein beinahe gleichziehen mit der DUP.

Bislang zeichnet sich keine positive Wendung in der nordirischen Regierungskrise ab. Bei den Gesprächen über eine Neuauflage der Koalition verstrich eine Frist nach der anderen. Als Streitpunkte gelten vor allem die Forderung von Sinn Fein, die irische Sprache der englischen gleichzustellen und der Widerstand der DUP, die gleichgeschlechtliche Ehe anzuerkennen.

Dazu kommt, dass die britische Regierung in London ihre Glaubwürdigkeit als neutraler Vermittler eingebüßt hat, seit sie auf die Unterstützung der DUP angewiesen ist. Die Konservativen von Premierministerin Theresa May verloren bei der vorgezogenen britischen Parlamentswahl im Juni 2017 ihre Mehrheit – als Königsmacherin kam nur die DUP infrage, die mit zehn Sitzen im Parlament in London vertreten ist.

Zudem erweist sich inzwischen das Thema Irland bei den Brexit-Gesprächen als kniffligster Streitpunkt. Mit dem geplanten Austritt Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion läuft alles auf Grenzkontrollen zwischen Nord und Süd hinaus. Das wollen zwar alle Seiten vermeiden, wie das gehen soll, ist aber bislang unklar. Eine Alternative wäre ein Sonderstatus für Nordirland innerhalb des europäischen Binnenmarkts und der Zollunion. Doch das würde die Irische See zur Zollgrenze machen – in den Augen der nordirischen Protestanten ein Schritt in Richtung eines vereinten Irlands. Die DUP lehnt das strikt ab. Im Dezember ließ sie die Muskeln spielen und pfiff May vom Verhandlungstisch in Brüssel zurück, um eine Formulierung in der Vereinbarung über die erste Phase der Brexit-Gespräche abzuschwächen, für May eine demütigende Erfahrung.

London und Dublin wollen bald eine neue Runde für die Verhandlungen zwischen den Streitparteien einläuten. Doch es gibt wenig Hoffnung auf einen Durchbruch. Beide Seiten beschuldigen sich, die Verhandlungen in die Sackgasse geführt zu haben.