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Rotes Kreuz Materiallager für nationale Notlagen

Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, über Lehren aus der Flüchtlingskrise und den Notstand in der Pflege.

Von Alexander Walter 02.06.2018, 01:01

Frau Hasselfeldt, Sie waren mehr als 30 Jahre in der Bundespolitik. Sie könnten auch ihren Ruhestand genießen. Warum mit 67 Jahren der Wechsel an die Spitze des DRK?
Gerda Hasselfeldt: Ich habe immer gesagt, ich will mit der Politik aufhören, solange es noch erkennbar Leute gibt, die sagen, es ist schade, dass du gehst. Dann kam die Anfrage vom DRK und ich habe gedacht, ich kann als Politikerin nicht jahrzehntelang lobende Worte fürs Ehrenamt finden und, wenn es darauf ankommt, sagen: ohne mich.

Als CSU-Landesgruppenchefin waren Sie bei der Flüchtlingspolitik zuletzt in einer unkomfortablen Mittlerrolle zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihrer Partei. Hat die kräftezerrende Debatte um die Obergrenze eine Rolle für Ihren Ausstieg gespielt?
Nein, das hat keine Rolle gespielt. Die Entscheidung hatte ich unabhängig davon zu Beginn der Legislaturperiode getroffen. Sie war lange vorbereitet.

Apropros Flüchtlingspolitik, das DRK sieht Deutschland schlecht auf Krisen vorbereitet. Sie schlagen bundesweit zehn große Materiallager vor, warum?
In Deutschland existierte bis Mitte der 1990er Jahre eine Bundesvorhaltung für Katastrophen und Notfälle. Dazu gehörten Feldbetten, Medikamente, Grundnahrungsmittel. Nach dem Ende des Kalten Krieges haben Politik und Wohlfahrtsverbände diese Vorräte dann im Konsens aufgegeben. Spätestens bei der Flüchtlingsproblematik wurde klar, dass das ein Fehler war.

Woran machen Sie das fest?
Es mussten beispielsweise Zelte mit hohem Aufwand aus Kanada und den USA eingeflogen werden, weil der gesamte europäische Markt leergefegt war. Daran wird deutlich, dass eine Vorhaltung nötig ist. Das gilt übrigens auch für andere mögliche Notlagen wie Überflutungen oder Cyberangriffe. Solche Szenarien sind keine Utopien und können Infrastruktur ganz schnell mal lahm legen. Darauf müssen wir vorbereitet sein.

Wer soll das bezahlen?
Die Idee fußt auf einem Konzept, das der ehemalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) entworfen hat. Die fünf anerkannten Hilfsorganisationen unter Federführung des DRK haben es verfeinert. Wir rechnen mit Kosten von zunächst 100 Millionen Euro, die der Bund übernehmen müsste. Die Länder müssten zuständigkeitshalber einbezogen werden.

Bekommt Sachsen-Anhalt auch ein solches Lager?
Wir sind noch in einer frühen Phase der Planung. Es geht jetzt auch nicht darum, einen Standort festzulegen. Für Sachsen-Anhalt gibt es vom Landesverband erste Ideen, alles andere wird man sehen.

Der Flüchtlingskrise verdankt das DRK einen Rekord bei der Zahl ehrenamtlicher Mitglieder – 425.000 sind es aktuell. Wie wollen Sie diese halten?
In der Tat beobachten wir, dass sich das Ehrenamt verändert. Die Leute binden sich weniger an eine Organisation, als an ein konkretes Projekt – etwa in der Flüchtlingshilfe oder der Unterstützung benachteiligter Kinder. Das müssen die Verbände bei ihren Angeboten künftig stärker berücksichtigen. Außerdem müssen wir das Ehrenamt angesichts der demografischen Entwicklung und immer vielfältigerer Freizeitalternativen aktiv fördern.

Wie soll das aussehen?
Einstiegstätigkeiten wie das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) oder der Bundesfreiwilligendienst müssen stärker ins Bewusstsein rücken. Das DRK ist mit 15 000 Plätzen der größte Anbieter bei den Freiwilligendiensten. Dennoch haben wir doppelt so viele Bewerber wie Stellen. Ich werbe darum, die Stellenzahl über eine höhere Bundesförderung anzuheben.

Auf das Doppelte?
Ich will keine Zahlen nennen, das würde nur Druck erzeugen. Mir liegt daran, das Bewusstsein in der Politik zu schärfen, dass über die Freiwilligendienste ein Potenzial für ehrenamtliche Tätigkeiten, aber auch für soziale Berufe heranwachsen kann. Gerade bei letzteren haben wir enormen Nachholbedarf.

Da sprechen Sie ein gutes Stichwort an. Als DRK-Präsidentin wollen Sie Akzente beim Thema Pflege setzen. Die von der Großen Koalition zunächst vereinbarten 8000 zusätzlichen Stellen reichen nicht, haben Sie zuletzt gesagt. Wohin muss die Reise gehen?
Wir spüren in allen Pflegebereichen das Defizit an ausgebildeten Fachkräften. Die Tatsache, dass im neuen Eckpunktepapier zum Sofortprogramm Kranken- und Altenpflege inzwischen nicht nur von 13 000 neuen Stellen die Rede ist, sondern auch von der Aufwertung der Pflege insgesamt, macht deutlich, dass die Politik den Ernst der Lage erkannt hat. Patentlösungen gibt es nicht. Wir stehen vor einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Sowohl bei den Arbeitsbedingungen als auch bei der Bezahlung und der Anzahl der Pflegekräfte müssen wir versuchen, die vorhandenen Beschäftigten zu entlasten und so die Attraktivität des Berufes zu steigern.

Wie viel zusätzliche Stellen brauchen wir?
Ich möchte auch da ungern mit konkreten Zahlen arbeiten. Das können die Verantwortlichen vor Ort besser bewerten. Die nötige Relation von Personal und zu Pflegenden unterscheidet sich ebeispielsweise zwischen einem Uni-Klinikum und in einem Krankenhaus der Grundversorung, aber auch zwischen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.

Wo liegen die Probleme in Sachsen-Anhalt?
In Sachsen-Anhalt haben wir als DRK eine Altenpflegeschule in Halle, bilden also selbst aus. Zum Personalbedarf: Im Bereich der Altenpflege beispielsweise haben wir einen wissenschaftlich nicht begründeten Schlüssel, der vorsieht, dass wenigstens 50 Prozent der Pflegenden Fachkräfte sein müssen.

Wie sieht es beim Verhältnis Personal pro zu Pflegende aus?
Das Verhältnis von Personal zu den zu Pflegenden ist in Sachsen-Anhalt zuletzt 1993 festgelegt worden. Seitdem hat sich eine Menge geändert. So haben wir es heute mit einem deutlich höheren Pflegeaufwand, insbesondere auch im Bereich der medizinischen Behandlungspflege in den Einrichtungen zu tun. Diese Entwicklung wird sich durch den demographischen Wandel noch verstärken. Deshalb ist es richtig, dass die Politik ein sogenanntes Personalbemessungsinstrument bundesweit verbindlich einführen will. Damit soll ein bedarfsgerechter Personalschlüssel ermittelt werden können.

Der Pflegeberuf gilt als unattraktiv, der erst 2014 neu geschaffene Beruf des Notfallsanitäters liegt im Trend. DRK und Arbeitersamariterbund (ASB) bilden an der Landesrettungsschule Halle aus. Wie ist die Resonanz?
Vorab: Es war eine absolut richtige Entscheidung, den Notfallsanitäter zu einem eigenen Ausbildungsberuf zu machen. Das führt zu einem enormen Zuwachs an Kompetenz bei den Rettungskräften. Was die Resonanz angeht: Wir haben mehr als genügend Bewerber, wegen des hohen Andrangs haben wir sogar eine Außenstelle in Magdeburg errichtet und wir denken über eine dritte Dependance in Dessau/Roßlau nach.