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Sexualstrafrecht Po-Kneifen soll Straftat werden

Der Bundesrat verlangt ein schärferes Gesetz, als es die Regierung vorgelegt hat. Opfer von sexueller Gewalt sollen besser geschützt werden.

13.05.2016, 23:01

Berlin (dpa) l Der Griff an den Po, die Brust oder in den Schritt – soll das strafbar sein? Ja klar, heißt es über Parteigrenzen hinweg. Soll eine Vergewaltigung strafbar sein, auch wenn sich das Opfer nicht körperlich wehrt? Ja, natürlich. Eine Strafbarkeit in solchen Fällen sei eine „Selbstverständlichkeit“, heißt es am Freitag im Bundesrat bei der Debatte über eine Reform des Sexualstrafrechts immer wieder.

Aber so selbstverständlich war das lange nicht. Der diskutierte Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der viel weniger weit geht, hing monatelang in der Ressortabstimmung fest. Dann geschah Köln – in der Silvesternacht werden Frauen am Kölner Hauptbahnhof aus der Menge heraus massenweise drangsaliert und belästigt, auch Vergewaltigungen werden angezeigt.

Das bringt Dynamik in die Debatte. Der Kompromissvorschlag von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) geht plötzlich keinem mehr weit genug. „Dieses Gesetz wird den Bundestag nicht so verlassen, wie es hineingekommen ist“, kündigt die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Renate Künast (Grüne), bereits an. Nach den Ländern müssen sich die Abgeordneten erneut mit der Reform befassen.

Der sächsische Justizminister, Sebastian Gemkow (CDU), liest am Freitag aus einem Brief der Staatsanwaltschaft an ein Opfer vor: „Es steht zwar fest, dass der Beschuldigte Ihnen an die Brust gegriffen hat. Dies war jedoch unerheblich und deswegen keine Straftat.“ Man sei sich wohl einig, dass es dabei nicht bleiben könne, so Gemkow.

Das reine Grapschen, also das Greifen an den Busen oder in den Schritt, könne bisher allenfalls als Beleidigung strafbar sein, erklärt Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund. Und auch nur dann, wenn es mit einer verbalen Beleidigung – wie zum Beispiel „du Schlampe“ – einhergehe. Wenn aber ein Mann einer Frau in den Po kneife und sage, was für ein schöner Hintern, könne man das kaum als herabsetzend bewerten, so die ehemalige Staatsanwältin.

Der Bundesrat schlägt deshalb nun vor, einen neuen Straftatbestand der „sexuellen Belästigung“ zu schaffen – etwa für kurze, belästigende Berührungen über der Kleidung.

Eine weitere Lehre aus Köln: die Möglichkeit, sexuelle Angriffe aus Gruppen zu ahnden, soll verbessert werden. Das geltende Recht blende die Übermacht einer Gruppe aus und die Dynamik, die daraus entstehen könne, sagt Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU).

Aber die Diskussion geht über eine Reaktion auf Köln hinaus. Es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Mit der Reform könnte der Grundsatz „Nein heißt Nein“ in das Sexualstrafrecht eingeführt werden. Der Bundesrat schlägt eine Formulierung vor, nach der es allein auf den erkennbaren Willen des Opfers ankommen soll – und zwar unabhängig davon, ob Betroffene diesen ausdrücklich erklären oder ob er aus den Umständen ersichtlich wird. Damit sollen Fälle erfasst werden, in denen das Opfer nur weint oder in Schockstarre verfällt.

Man müsse sich davon lösen, die Strafbarkeit an besondere Umstände zu knüpfen, sagt Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne). „Die Zeit für eine solche Reform wäre reif, die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für eine so umfassende Reform sind gegeben.“

Dieser Auffassung sind inzwischen auch die Spitzen von Union und SPD. Der von Maas vorgelegte Gesetzentwurf knüpft die Strafbarkeit noch an bestimmte Bedingungen – der Täter muss das Opfer etwa überraschen. Aber auch der Justizminister ist nun offen für eine Verschärfung.

Derweil sitzt im Hintergrund eine Expertengruppe an einer kompletten Überarbeitung des Sexualstrafrechts. Ihre Ergebnisse soll sie im Herbst vorstellen. Abwarten will das kaum einer. Die Ereignisse der Silvesternacht hätten die Experten bei ihrer Arbeit überrascht, sagt Gemkow. „Vor dieser Nacht kannten wir solche massiven Übergriffe nicht.“ Auch wenn es bedauerlich sei, dass der Gesetzgeber nun die Arbeit der Kommission teilweise vorwegnehmen müsse, so sei dies doch im Interesse der Opfer unbedingt geboten.

Auch die Juristin Freudenberg hofft, dass die Chance, die sich aus der derzeitigen Stimmung in der Politik ergibt, nicht ungenutzt verstreicht. Andernfalls sehe sie „schwarz“. „Dann werden wir wieder 20 Jahre warten.“