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SPD-Chef Sigmar Gabriel und der "Stinkefinger"

Welche Folgen hat der "Stinkefinger" für Sigmar Gabriel? Nicht jedem hat dieser in der Vergangenheit gut getan.

17.08.2016, 13:28

Berlin (dpa) l Sigmar Gabriel ist bekannt dafür, dass er nicht immer strömlinienförmig durchs Leben gleitet. Der SPD-Chef eckt in aller Regelmäßigkeit an, hält mit Launen nicht hinter dem Berg, teilt auch mal kräftig aus. Nun macht der Vizekanzler mit einer Geste der besonderen Art von sich reden: einem "Stinkefinger". Schadet ihm das - oder kann es ihm sogar nützen?

Freitag in Salzgitter in Niedersachsen: Gabriel ist auf dem Weg zu einer Wahlkampfveranstaltung im Ratskeller. Bei einem kurzen Termin im Rosengarten um die Ecke taucht plötzlich ein Trupp vermummter rechter Demonstranten mit schwarz-rot-goldenen Masken auf. Die beschimpfen Gabriel als "Volksverräter" und grölen: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!" Gabriel schaut einigermaßen belustigt, schenkt dem Auflauf ein müdes Lächeln und winkt ab. Zum Schluss zieht er die rechte Hand aus der Hosentasche, zeigt den Pöblern den ausgestreckten Mittelfinger und dreht sich weg. Kalte Schulter.

Erst am Dienstag taucht ein Clip von dem Vorfall im Internet auf. Die "Jungen Nationaldemokraten" Braunschweig – die Jugendorganisation der rechtsextremen NPD -, die offenbar hinter der Aktion stecken, stellen ein Video von der Pöbelei ins Netz. Das verbreitet sich aber erst richtig, als die Gruppe "Antifa Kampfausbildung e.V." es auf ihrer Facebook-Seite postet.

 

Innerhalb kürzester Zeit wird der Film Zehntausende Male angeklickt und eifrig kommentiert. Selbst jene, die mit Gabriels Politik sonst nicht viel anfangen können, loben ihn auf der Antifa-Seite: "Vielleicht das erste Mal, dass mir der Typ sympathisch ist", steht da zum Beispiel, "einzige adäquate Reaktion", "ausnahmsweise macht er es mal richtig, der Siggi", "macht ihn glatt wieder wählbar". Oder: "Ein Beweis dafür, dass Siggi auch nur ein Mensch ist".

Auf der Seite der Rechten fallen die Kommentare freilich etwas anders aus. Gabriel ist zu einem Feindbild von Rechtsextremen geworden. In der Asyldebatte hat sich der SPD-Chef mit harten Worten hervorgetan. Im vergangenen Sommer besuchte Gabriel etwa eine Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau, wo es kurz zuvor zu Ausschreitungen gegen Asylbewerber gekommen war. Gabriel nannte die Verantwortlichen "Pack". Danach bekam die SPD-Zentrale massenhaft rassistische Hassmails, beleidigende Anrufe und Drohungen.

Und: Gabriel erzählt immer wieder öffentlich von seinem Nazi-Vater. Erst vor ein paar Tagen sprach Gabriel auf einer Sommerreise durch Mecklenburg-Vorpommern, in der NPD-Hochburg Lübtheen, im Nieselregen über den Kampf gegen Rechts und bemühte seine Familiengeschichte. "Ich weiß, wovon ich rede", sagte Gabriel da. Sein Vater sei "bis zum letzten Atemzug ein überzeugter Nationalsozialist" gewesen. Auch die rechten Störer in Salzgitter nahmen darauf Bezug. In dem Video ist zu hören, wie einer von ihnen Gabriel zuruft: "Mensch, dein Vater hat sein Land geliebt. Und was tust du? Du zerstörst es."

Gabriel streut derzeit überhaupt auffallend viel Persönliches in seine Auftritte ein, erzählt bei jeder passenden oder auch weniger passenden Gelegenheit von seiner kleinen Tochter, seiner Mutter, gab kürzlich erstmals ein Doppel-Interview mit seiner Frau. Manch einer wertet das als Zeichen dafür, dass er sich nun doch entschieden hat, den Kanzlerkandidaten für seine Partei zu geben.

Aber darf ein Kanzlerkandidat das – den "Stinkefinger" zeigen? Peer Steinbrück hat damit nicht so gute Erfahrungen gemacht. Der damalige SPD-Spitzenmann grüßte 2013 – eine Woche vor der Bundestagswahl – mit einem "Stinkefinger" vom Titel des Magazins der "Süddeutschen Zeitung". Das Bild entstand in einem Ohne-Worte-Interview, in dem Prominente nur mit Gestik und Mimik antworten dürfen. Steinbrück wurde nach fiesen Spitznamen gefragt und entschied sich als Antwort für den ausgestreckten Mittelfinger plus genervtem Gesichtsausdruck. Ja, es war lustig gemeint, ironisch. Trotzdem hagelte es Kritik, etwa vom damaligen FDP-Chef Philipp Rösler. Der befand: "Die Geste verbietet sich als Kanzlerkandidat. So etwas geht nicht."

Bei der Wahl lief es damals schlecht für Steinbrück. Der "Stinkefinger" dürfte zumindest nicht ganz hilfreich gewesen sein. Auch andere haben sich mit der Geste ordentlich Ärger eingehandelt: der frühere griechische Finanzminister Gianis Varoufakis etwa. Oder der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD), der im Jahr 2000 bei der Weltausstellung Expo Jugendlichen den Mittelfinger zeigte. Die hatten ihn gefragt: "Wer bist'n du?". Legendär ist auch der "Stinkefinger" des damaligen Fußball-Spielers Stefan Effenberg 1994 Richtung Zuschauertribüne.

Aber bei Gabriel ist die Lage eine andere. Er hat nicht Lesern, Jugendlichen oder Fans den Mittelfinger hingestreckt, sondern Rechten. Das zu kritisieren, ist schwerer. SPD-Leute verkaufen seine Gegenwehr gegen Fremdenfeinde ohnehin als großes Plus, preisen seine Authentizität bei diesem Thema, seine menschliche Seite. Ein "Stinkefinger" gegen Neonazis fügt sich da aus ihrer Sicht gar nicht schlecht ein. "Das schadet ihm definitiv nicht", meinen SPD-Kreise.

Allerdings ist die Frage, ob der Studienrat in Bottrop oder die Rentnerin in Bielefeld ähnlich euphorisch auf eine solche Geste reagieren wie Antifa-Leute – oder ob sie es eher als Zeichen sehen, dass sich Gabriel einfach nicht im Griff hat. Würde Kanzlerin Angela Merkel (CDU) so etwas passieren? Undenkbar.
Einige SPD-Leute versuchen, schon mal präventiv gegenzusteuern und Gabriels Auftritt als Tugend darzustellen. Der SPD-Mann Lars Klingbeil postet auf Twitter: "hat eigentlich schon jemand gabriel kritisiert weil er nicht beide mittelfinger genommen hat?"