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SPD-Vorsitz Kämpfer für den Osten in Bernburg

Der Bewerbermarathon um den SPD-Vorsitz machte erstmals Station in den neuen Ländern. In Bernburg war dann auch viel vom Osten die Rede.

Von Alexander Walter 08.09.2019, 14:07

Bernburg l Die Kritik von Gerhard Schröder, sie ist am Sonnabend noch nicht bis ins Bernburger Kurhaus durchgedrungen. Die Tatsache, dass seine SPD mit sage und schreibe 23 Bewerberrunden durch die Republik tourt, um ein Vorsitzenden-Duo zu finden, quittiert der Altkanzler in einem Interview mit den Worten: „Diese langwierige Form von Führungsfindung liegt mir nicht.“ Auch der angedachten Doppelspitze kann Schröder wenig abgewinnen.

Von Einmischungen ehemaliger Parteigrößen halten sie in der neuen SPD aber ohnehin nicht allzu viel. Erst am Vortag hat Partei-Vize Ralf Stegner in Hannover klar gemacht: Früheren Verantwortlichen gelte Respekt. Die könnten dann allerdings „ab und zu mal die Klappe halten denen gegenüber, die heute Verantworgung tragen.“ SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagt in Bernburg: 23 Regionalkonferenzen seien für künftige Vorsitzende „nix im Vergleich zu dem, was danach kommt“.

Die Stimmung beim Bewerberschaulaufen im historischen Bernburger Kurhaus ist gelöst. Nach Saarbrücken und Hannover ist die Saalestadt der dritte Termin der sechswöchigen Tour – und der erste im Osten. In ganz Sachsen-Anhalt hat die SPD die Genossen ihrer Kreisverbände mobilisiert. Rund 150 Gäste sind im Saal, vor Beginn müssen zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden.

Von Anfang an spielt der Osten eine zentrale in den Reden vieler der 15 Kandidaten. Die Schlagworte sind gleichwertige Lebensverhältnisse, Verteilungsgerechtigkeit, starker Sozialstaat. Die Bewerber treten in sieben Duos an, jede Gruppe hat fünf Minuten Redezeit. Fast alle halten sich peinlich genau daran.

Zwei Kandidatinnen kommen aus den neuen Ländern. Sie versuchen, ihr Heimspiel zu nutzen: „Ich will nicht, dass man sich um den Osten kümmert. Ich will, dass der Osten auf Augenhöhe mitspricht“, sagt die brandenburgische Landtagsabgeordnete Klara Geywitz, die mit Finanzminister Olaf Scholz antritt.

Die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping, die ein Team mit dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius bildet, sagt: Ihr Anliegen sei die Stärkung des ländlichen Raums. Das könne nur durch eine bessere Finanzausstattung der Kommunen, schnelle Internetanschlüsse und günstigen Nahverkehr umgesetzt werden.

Der Gewerkschafter Dierk Hirschel erklärt, nach der Wende sei der Osten zu einem „marktradikalen Experimentierraum“ geworden. Die Löhne seien heute ein Fünftel niedriger als im Westen, diese Spaltung müsse die SPD beseitigen. Kapital aus der Spaltung schlügen bislang aber Kräfte, die sie gar nicht überwinden wollten. Gemeint sind AfD-Politiker wie Björn Höcke und Alexander Gauland. Hirschel ruft: „die Stradivaris unter den braunen Arschgeigen“.

Viel Applaus bekommt der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der seine Partnerin die Umweltpolitikerin Nina Scheer zunächst entschuldigen muss. Lauterbach fordert massive Investitionen in die Energiewende und gute Bildung. Neue, grüne Arbeitsplätze müssten „hier, im Osten“ entstehen.

Zudem müsse Schluss damit sein, dass Erfolg von Herkunft abhänge, sagt er. Die schwarze Null als Haushaltsziel sei da ein Hemmschuh. Keines seiner Ziele lasse sich mit der CDU verwirklichen, betont Lauterbach. Der 56-Jährige ist damit der Kandidat, der ein Ende der Großen Koalition am entschiedensten fordert.

Christina Kampmann und Michael Roth sind das Gute-Laune-Duo der Runde. Die 39-Jährige NRW-Landtagsabgeordnete und der 49-jährige Europastaatsminister im Auswärtigen Amt setzen auf Zuversicht: „Wir haben Lust auf Zukunft, wollen nicht ständig in den Rückspiegel blicken“, sagt Kampmann. Roth sagt, der Altersschnitt des Teams sei niedrig, „was vor allem an Christina liegt.“ Das zog schon woanders, auch in Bernburg erntet er Lacher.

Doch die beiden können auch seriös. „Die Demokratie ist unter Druck“, sagt Roth, das sehe man auch in Sachsen-Anhalt. Die einzige Antwort auf Extremismus sei ein einiges Europa.

Olaf Scholz, der als Mitfavorit fürs neue Führungsduo ins Rennen ging, agiert in Bernburg zurückhaltend, überlässt seiner Partnerin Geywitz oft die Initiative. Zwar solidarisiert auch er sich mit dem Osten: Er kenne die Probleme des Strukturwandels gut – die Antwort auf wachsende Stimmenanteile für Populisten könne nur ein starker Sozialstaat sein. Der Funke springt aber nicht so recht über.

Das gilt auch für die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan, die mit Partei-Vize Ralf Stegner antritt. Aussagen wie, man biete Verlässlichkeit, Kontinuität und Standhaftigkeit, sorgen nur für höfliche Zustimmung. Anders Stegner, der mit markigen Sätzen punktet: „Wir ruhen nicht, bevor wir die Rechtspopulisten wieder aus den Parlamenten kriegen“, ist einer davon. Er erntet Jubelrufe.

Ob charismatisch, witzig oder seriös. Kontroversen gibt es in Bernburg kaum. Die Kandidaten bestärken einander eher. Auch bei den Fragen des Publikums sind Unterschiede nur in Feinheiten erkennbar. Ein wenig Zeit bleibt aber auch noch. Die letzte Station im Osten wird am 12. Oktober Dresden sein. Erst ab 14. Oktober stimmen die SPD-Mitglieder dann ab.