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Staatsbesuch Merkel und Abe beschwören freien Welthandel

Für die Kanzlerin gilt Japans Premier Shinzo Abe als Wertepartner. In einer internationalen Politik könnte Japan an Bedeutung gewinnen.

04.02.2019, 23:01

Tokio (dpa) l Solch' blumige Lobeshymnen bekommt Angela Merkel auch bei Auslandsreisen nur ganz selten zur Begrüßung zu hören – und zuhause in Deutschland schon gar nicht. Nach dem traditionellen japanischen Kalender sei heute ja der Tag des Frühlingsanfangs, säuselt Gastgeber Shinzo Abe der Kanzlerin am Montag beim Auftritt vor Journalisten zu. Eigentlich sei dies in Japan die kälteste Saison. Doch heute habe es Temperaturen wie im April gegeben. "Frau Bundeskanzlerin Merkel hat den Frühling mit nach Japan gebracht."

Ein paar Minuten später revanchiert sich die als nüchtern bekannte Kanzlerin für die Schmeicheleien mit einem Dank an den "lieben Shinzo" für den freundschaftlichen Empfang. Zum fünften Mal sei sie nun in Japan, man sei sich aber schon 17 Mal begegnet und habe dabei eigentlich immer sehr gut zusammengearbeitet. Diese lange Freundschaft sei "Ansporn in einer Welt, in der ja manches in Unordnung ist, doch enger zusammenzuarbeiten."

Abe hatte zuvor eine tiefergehende Zusammenarbeit mit Deutschland angekündigt und zu Formulierungen gegriffen, die der zu Pragmatismus neigenden Merkel womöglich etwas übertrieben in den Ohren geklungen haben mögen. Am Ende seiner Ausführungen sieht der Premier die deutsch-japanischen Beziehungen jedenfalls auf eine höhere Ebene gehoben und versichert: "Zusammen mit Angela werde ich weiterhin zum Frieden und zur Stabilität der Staatengemeinschaft beitragen."

Deutschlands Rolle wachse auch angesichts des nahenden Austritts Großbritanniens aus der EU "immer weiter in der Welt", sagt Abe. Das am Freitag in Kraft getretene Freihandelsabkommens zwischen der EU und Japan sende "eine kraftvolle Botschaft für die Stärkung unserer bilateralen Wirtschaftsbeziehungen und für das Vorantreiben des Freihandels". Abe verbindet damit eine Vision: Es sei an der Zeit, "die Partnerschaft für eine regelbasierte internationale Ordnung und den Wohlstand in der Welt auf eine höhere Stufe zu heben".

Zuvor waren Merkel und Abe hinter verschlossenen Türen im Sauseschritt durch ihre Themen und die Weltkrisen gegangen. 50 Minuten waren für das Treffen angesetzt, das ist nicht gerade üppig, um über die nachlassende Bereitschaft zu internationalen Konfliktlösungen, die Probleme beim Welthandel, den Brexit, das Ende des INF-Abkommens oder das Atomprogramm Nordkoreas zu sprechen.

Doch Abe, das wusste Merkel schon vor dem Besuch, ist unter Zeitdruck: Es ist Haushaltswoche in Japan, da hat der Premier Präsenzpflicht im Parlament und leider nur wenig Zeit für den Besuch aus Berlin. Doch verschieben, das hatte er der deutschen Seite rechtzeitig klar gemacht, wollte Abe die Termin auch nicht. Zu wichtig war ihm der Termin mit der Kanzlerin, auch als Signal an die schwierigen Nachbarn China und Russland.

Der Kanzlerin und dem Ministerpräsidenten ist klar: Im Vergleich zu Merkels jüngstem Japan-Besuch 2015 ist diesmal vieles anders geworden. Damals saß Barack Obama noch im Weißen Haus – inzwischen regiert Donald Trump mit seiner Verachtung für internationale Organisationen und freien Welthandel die USA. China tritt offensiver auf, das Riesenreich strebt selbstbewusst eine stärkere internationale Position an. Und Russland mischt weiter kräftig mit, wenn es darum geht, das weltweite Kräfteverhältnis neu auszutarieren.

Da gibt es nicht mehr so viele wichtige Staatenlenker weltweit, die die Fahne der internationalen Krisenlösung, der freien Welthandels und der Demokratie aufrecht halten. In einer Welt im Umbruch gilt Abe Merkel als Stabilitätsanker. Er regiert mit Zweidrittel-Mehrheiten im Parlament – davon kann die Kanzlerin nur träumen. Am 23. Februar ist er der am längsten amtierende Regierungschef Japans in der Nachkriegszeit. Schafft er die volle Legislaturperiode, gilt dieser Superlativ sogar für die Zeit seit der Öffnung Japans 1868.

Da kommt es für beide Seiten gerade recht, dass man vor dem G20-Gipfel unter japanischer Präsidentschaft Ende Juni in Osaka die gleichen Werte und Ziele vertritt. Japan setzt neben den großen Themen Weltwirtschaft, Freihandel und Klimawandel auch auf die Gesellschaft 5.0 und die Industrie 4.0 – also die Umsetzung der Digitalisierung in die Praxis wie etwa das autonome Fahren.

Japan werde der Welt im kommenden Jahr bei den olympischen Spielen zeigen, wie technisch fortgeschritten das Land etwa beim autonomen Fahren oder den neuen Antriebstechnologien sei, schmeichelt Merkel da zum Beispiel. Deutschland sei hier an einer Zusammenarbeit sehr interessiert, genau wie auch im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Mit China, von dem Japan zwar wirtschaftlich abhängig ist, aber zugleich in Territorialkonflikten liegt, wollten beide Länder zwar eng zusammenarbeiten, sagt die Kanzlerin.

Doch in gewisser Weise sei man hier auch Konkurrent – etwa in der Automobilindustrie oder anderen Hochtechnologiebereichen, sagt die Kanzlerin. Dann wiederholt Merkel ihr Credo, das sie immer wieder vorträgt: Wenn alle Partner offen miteinander zusammenarbeiteten, "könnten sehr gut Win-Win-Situationen entstehen". Will heißen: Trotz Konflikten könne jede Seite profitieren.