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Staatsorganisation Vom Nutzen und Nachteil des Föderalismus

16 Schulsysteme, 16 Polizeien, 16 Verfassungsgerichte: Warum? Ein Blick in die Geschichte des deutschen Föderalismus.

25.12.2018, 23:01

Berlin (dpa) l Es wirkt schon bizarr: Da will der Bund den Ländern fünf Milliarden Euro geben, um Schulen zu digitalisieren - und dann soll erst das Grundgesetz geändert werden. Der Vermittlungsausschuss wird angerufen, eine Koalition liegt im Streit – und das alles nur, weil Deutschland ein föderaler Staat ist.

Die verfassungsrechtlich verankerte Gliederung Deutschlands in Länder ist aus der geschichtlichen Erfahrung geboren, lange gewachsen und hat auch so manche Gebrauchsspuren, fast 70 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes.

In Diktaturen gibt es keine Länder mit autonomer Macht, keinen Föderalismus, denn Diktaturen geben ungern Macht ab. Auch die Nationalsozialisten wollten nach 1933 ihre Allmacht nicht teilen. "Ein Volk, ein Reich, ein Führer", lautete die Parole – der Zusatz "und viele Länder" hätte da nur gestört. Aus Sicht der Nazis galt Föderalismus als überkommen, gewissermaßen als "undeutsch". Die Gleichschaltung der Länder nach 1933 bedeutete auch ihre Ausschaltung.

Dabei war es, beginnend mit dem Deutschen Bund 1815, eine urdeutsche Tradition, die Interessen von Königen, Fürsten und freien Städten mit denen einer Zentralgewalt auszutarieren. Nach 1945 forderten dann auch die Alliierten, dass Deutschland seine Zentralmacht aufgliedert.

Nach der Erfahrung von zwölf Jahren Diktatur herrschte deshalb 1948 unter den Verfassungsvätern und -müttern kein Zweifel: Deutschland sollte wieder ein föderaler Staat werden, eben eine "Bundesrepublik" (von lateinisch foedus für Bund, Vertrag). Aus der Sicht des Parlamentarischen Rates bot diese Staatsform den besten Schutz davor, dass Deutschland erneut zur Diktatur wird. Die Macht im Staat sollte nicht nur zwischen den drei Gewalten Exekutive, Legislative und Judikative aufgeteilt werden, sondern auch vertikal, zwischen dem Bund und den Ländern.

Ganz praktisch bedeutet Föderalismus: Die Länder gelten als eigene Staaten. Sie sind für alle Gesetze zuständig, sofern der Bund den Bereich nicht für sich reklamiert, wie etwa Außenpolitik, die Verteidigung und Währungsangelegenheiten. Was das Land regeln kann, soll es auch regeln, schließlich sind Landespolitiker "näher bei de Leut'", wie es der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) einst formulierte. Und falls ein Bundesgesetz die Länder betrifft, muss der Bundesrat ihm zustimmen.

Die Länder wussten ihre Eigenständigkeit zu nutzen. Koalitionen zwischen Parteien wurden erst auf Länderebene ausprobiert, bevor sie für den Bund infrage kamen. Auch bei der Bildung gingen die Länder eigene Wege – zum Leidwesen von Lehrern in Ausbildung oder Eltern, die umziehen wollen. Zum Segen aber von Schülern in Ländern wie Sachsen oder Bayern, die in Bildungsstudien glänzen.

Doch im Laufe der Jahrzehnte wurde aus einer – nie vollständigen – Trennung der Sphären ein kompliziertes Geflecht. Der Bund versuchte, Einfluss auf die Kommunen zu nehmen, dabei unterstehen diese den Ländern. Immer mehr Gesetze mussten nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat abgesegnet werden, was zu immer mehr Konsenspolitik führte. Was als Ausnahme gedacht war, wurde zur Regel.

Diese Verflechtung von Bundes- und Länderkompetenzen, das komplizierte Ineinandergreifen von Bund, Ländern und Kommunen galt lange als größtes Hindernis für Reformen in Deutschland. Aus dem "demokratischen Bundesstaat" des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1) war in den Worten des Politikwissenschaftlers Werner Reutter ein "undemokratischer Bundesstaat" geworden.

Ende der 90er Jahre, als Bundespräsident Roman Herzog einen Ruck durch Deutschland forderte, begannen die Vorbereitungen für eine Föderalismusreform. Im Jahr 2006 verabschiedet, gilt sie als eine der umfangreichsten Änderungen des Grundgesetzes in der deutschen Geschichte. 25 Artikel wurden modifiziert oder ergänzt. Kompetenzen wurden klarer getrennt, die Zustimmungspflicht für Gesetze im Bundesrat verringert.

Dass Bildung "Ländersache" ist, wird seither oft als Mantra wiederholt. Seit 2006 durfte der Bund nur in Ausnahmefällen Fördergelder bereitstellen, etwa für Forschungseinrichtungen wie die Max-Planck-Gesellschaft. Zweimal wurde dieses sogenannte Kooperationsverbot seither schon gelockert. Der Bund konnte nun auch langfristig Hochschulen unterstützen und Kommunen dabei helfen, marode Schulen zu sanieren.

Durch den Digitalpakt sollen nun wieder ein paar Ausnahmen mehr möglich werden. Länderfürsten wie Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sehen aber den Grundgedanken des Föderalismus bedroht: die Eigenständigkeit der Länder. Gerade auf entscheidenden Gebieten wie dem der Bildung. Der Zwist zwischen den Ministerpräsidenten und dem Bund ist also nicht neu; er ist nur die Fortsetzung eines alten Streits um die Frage, wie die Macht zum Wohle aller am besten verteilt wird.