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Terrorismus IS-Kämpfer flüchten nach Afghanistan

Der IS hat fast alle Gebiete in Syrien und im Irak verloren. Viele Kämpfer setzen sich nun nach Afghanistan ab.

Von Christine-Felice Röhrs und Jan Kuhlmann, dpa 14.12.2017, 23:01

Kabul l Im November tauchen erstmals Gerüchte von Franzosen auf, die im Norden Afghanistans Kämpfer rekrutieren. Sie sollen einen Übersetzer dabeihaben, sagt Rahmatullah Haschar, ein Stammesältester aus der Provinz Dschausdschan. Dort versucht die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) Fuß zu fassen und lockt offenbar ausländische Kämpfer an. „Da sind alle möglichen Hautfarben dabei – schwarz, weiß, rot“, sagt Haschar. „Einige waren vorher in Syrien, höre ich.“

Jenseits seiner beweglichen Terrorzellen hatte der IS lange nur im Osten Afghanistans, in der Provinz Nangarhar, ein kleines Herrschaftsgebiet. Da lassen allerdings das afghanische und amerikanische Militär kontinuierlich Bomben auf ihn hinabregnen – im April unter anderem die größte nicht-nukleare Bombe im US-Arsenal. Der Norden bietet den Extremisten mehr Schutz. 500 Kämpfer habe der IS dort bereits rekrutiert, sagt Haschar.

Das neueste IS-Expansionsprojekt ist eines von mehreren Anzeichen dafür, dass die Ex- tremisten ihren Fokus verstärkt auf Afghanistan richten. Sie werden dort immer aktiver, während sie in Syrien und im Irak fast ihr komplettes Herrschaftsgebiet verloren haben und das „Kalifat“ zusammengebrochen ist.

Der IS ist in Afghanistan erst seit drei Jahren aktiv. 2015 hatte er dort die Provinz „Chorasan“ ausgerufen, in Anlehnung an den Namen einer historischen Gegend in der Region. Die USA, die afghanische Regierung, aber auch die radikalislamischen Taliban hatten ihn von Anfang an konsequent bekämpft, und er hatte angeblich nie mehr als 3000 Kämpfer – trotzdem nimmt Afghanistan in der IS-Propaganda seit Monaten mehr Raum ein. Während die Zahl der Berichte aus Syrien und Irak abgenommen hat, häufen sich angebliche Erfolgsmeldungen aus „Chorasan“. In dieser Woche verbreitete die IS-Propaganda unter dem Logo der „IS-Provinz“ eine Bilderserie zum Bau einer Bombe.

Die sunnitischen Extremisten setzen auf Afghanistan, weil sie dort zu finden hoffen, was sie in Irak und Syrien groß werden ließ: ein schwacher Staat, der nicht in der Lage ist, sein ganzes Staatsgebiet zu kontrollieren, außerdem Spannungen zwischen unterschiedlichen Ethnien und Konfessionen. Mit Anschlägen gegen die bei ihm verhassten Schiiten will der IS auch in Afghanistan Sunniten für sich gewinnen.

Es wäre eine fatale Entwicklung, sollte sich die Terrormiliz weiter ausbreiten. Dies ist sowieso schon eine explosive Gegend. Auch die Taliban gewinnen derzeit wieder an Boden. Drei Jahre nach dem Ende der Nato-Kampfmission kontrollieren sie wieder etwa 13 Prozent des Landes und kämpfen um weitere 30 Prozent.

Sicherheitsexperten horchen auch auf, weil angeblich die Zahl der Dschihadisten aus anderen Ländern wächst. Von den 500 IS-Kämpfern im Norden des Landes stammen laut dem Stammesältesten Haschar etwa 300 aus dem Ausland, die meisten seien Usbeken oder Araber. Im Verteidigungsministerium ist von 100 bis 250 Ausländern die Rede. Sicherheitsanalysten warnen seit Monaten davor, dass nach dem Ende des „Kalifats“ IS-Kämpfer aus Syrien und dem Irak versuchen könnten, in Afghanistan Unterschlupf zu finden.

Pakistanische Geheimdienste berichteten, sie hätten eine kleine, in Afghanistan basierte Gruppe entdeckt, die dabei helfe, IS-Kämpfer aus den beiden arabischen Krisenländern in die Region umzusiedeln. Die Organisation Nasrat-ul-Dschihad schmiere Beamte in der Türkei, Griechenland und Malaysia, damit sie Kämpfer durchließen.

„Im Augenblick sind die IS-kontrollierten Gebiete im Südosten Afghanistans das Reiseziel“, heißt es in einem Bericht. Aber die Gruppe schaue auch auf Pakistans Grenzprovinz Baluchistan im Süden und in den afghanischen Norden, wo sie „so nah an Zentralasien und Russland herankommen wollen wie möglich“.

Zurzeit zumindest scheint der Zulauf aus den Kriegen in Syrien und im Irak eher aus Heimkehrern aus der Region zu bestehen. Das macht die Entwicklung jedoch nicht weniger gefährlich.