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Türkei-Debatte Katzbuckeln vor Erdogan

Der Streit um Wahlauftritte türkischer Politiker wird schärfer. Die Bundesregierung beschwichtigt, statt Verbote durchzusetzen.

Von Steffen Honig 14.03.2017, 00:01

Magdeburg l Es knirscht gewaltig in den Beziehungen Deutschlands und der Niederlande zur Türkei. So heftig, dass der Widerhall in ganz Europa zu hören ist. Weil der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan vor dem Präsidial-Referendum Mitte April seine Ministerriege in den Staaten aufmarschieren lässt, wo besonders viele Stimmen von Auslandstürken zu holen sind. Wer die Erdogan-Propagandisten nicht auftreten lässt, ist für die türkische Führung ein Faschist.

Deutliche Worte dagegen gibt es – nur nicht von der Bundesregierung. Kanzleramtsminister Peter Altmaier war am Sonntagabend in der Anne-Will-Talkshow puddingweich. Sein Widerpart, der türkische Sportminister Akif Cagatay Kilic, ließ jeden noch so leisen Anwurf an sich abprallen. Ob der Fall des inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, Pressefreiheit und Rechtssystem überhaupt – alles sei prima in der Türkei. Altmaier wagte keinen Widerspruch, sondern beschwor flehentlich die Freundschaft zwischen Deutschen und Türken.

An dieser rüttelt auch niemand, wohl aber daran, sie machtpolitisch auszunutzen. Inklusive der Nazi-Keule, die Altmaier euphemistisch „unbrauchbar“ nennt. Unbrauchbar? Das ist ein Skandal und muss auch so genannt werden. Statt Rücksichtnahme wegen des Flüchtlingsdeals ist ein Wahlkampfverbot für türkische Politiker vonnöten.

„Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf“, warnte immerhin Außenminister Sigmar Gabriel. Nur: Wo verlaufen diese? Im Anti-IS-Einsatz sind deutsche Tornados im türkischen Incirlik stationiert. Sofort abziehen, fordern CSU und Linkspartei in seltener Eintracht – völlig zu recht.

Besonders scharf sind die Niederländer gegen ungebetene türkische Wahlkampf-Besucher vorgegangen. Gäbe es einen vereinbarten Kodex unter den EU-Staaten, wären die Ereignisse vom Wochenende vielleicht vermeidbar gewesen. Dringend nötig ist europäische Solidarität, wie sie Dänemark mit der Besuchs-Absage an den türkischen Premier gezeigt hat. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Niederlande mittlerweile der Solidarität versichert. Die Auseinandersetzungen von Rotterdam kommen der türkischen Administration wie gerufen – zum Stimmenfang und zur Aufstachelung ihrer Landsleute gegen ihre neuen Heimatländer.

Eine einheitliche türkische Community gibt es etwa in Deutschland nicht. Die Gegensätze zwischen Türken und Kurden drohen auf hiesigen Straßen ausgetragen zu werden. Auffällig ist, dass die Pro-Erdogan-Kundgebungen äußerst sorgfältig organisiert sind. Dahinter steht die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die fünfte Kolonne der Präsidenten-Partei AKP in Europa. Sie sorgt dafür, dass immer reichlich jubelndes Publikum vorhanden ist. Notfalls wird es in Bussen herbeigekarrt.

Die Kurden sind in Deutschland ebenfalls organisiert. Und die „Kurdische Gemeinde Deutschland“ wundert sich über das Verbot des Bundesinnenministeriums, wegen des Emotionalisierungseffekts Bilder von PKK-Führer Öcalan zu zeigen. Einen viel größeren Effekt dieser Art sehen die Kurden in Transparenten mit dem Porträt Erdogans. Dieser spalte nicht nur die türkische Gesellschaft, sondern habe auch für viele Deutsche einen viel größeren „Emotionalisierungseffekt“, heißt es in der Stellungnahme.

Es herrscht eine schwierige Gemengelage unter den rund drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Bei einer Einbürgerung entscheiden sich knapp ein Fünftel von ihnen für den Doppelpass. Ob damit das Bekenntnis zu Deutschland Schaden nimmt, ist nicht erwiesen. Insgesamt aber stellen dies 1,4 Millionen wahlberechtigte Deutsch-Türken auch ein ordentliches Potenzial für die Wahlen in Deutschland dar, wie bei der Bundestagswahl im Herbst.

Ziel der Regierungsparteien ist es, möglichst viele dieser Stimmen für sich einzuheimsen. Auch dies erklärt die Zurückhaltung der CDU die devote Haltung von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz freilich findet die Lage in der Türkei „dramatisch“.

Beim Will-Gespräch hob Minister Kilic hervor, dass das Mitte April in der Türkei zur Abstimmung stehende Modell des Präsidialsystems zutiefst demokratisch sei. Ein Präsident könne nur zwei Amtsperioden von jeweils fünf Jahren lang regieren.

Allerdings beginnt die Zählung erst mit den geplanten Wahlen 2019. So könnte Erdogan bis 2029 an der Macht bleiben. Und sogar noch fünf Jahre länger bis 2034, wenn das Parlament während der zweiten Amtsperiode Neuwahlen beschließen würde. Dann wäre er 80 Jahre alt. Das hat Kilic nicht gesagt und Altmaier nicht angemerkt – der Freundschaft wegen.