1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Abgeordnete drängen Merkel zu offener Kritik

Türkeipolitik Abgeordnete drängen Merkel zu offener Kritik

Die Opposition fordert deutlichere Worte von Angela Merkel. Unterdessen wirft die Türkei ihr indirekt Terrorismus vor.

01.02.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Bundeskanzlerin Angela Merkel will bei ihrem Besuch in Ankara Fortschritte für das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei erzielen und zugleich Missstände in dem Land ansprechen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit.

Er versicherte, bei ihren Treffen mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim würden Freiheitsrechte und deren Einschränkungen wieder ein Thema sein. Die Pressefreiheit sei aus Sicht der Bundesregierung zentrale Säule eines demokratischen Rechtsstaats, und die nötige Aufarbeitung des Militärputsches im Juli 2016 müsse im Rahmen von Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit geschehen. „Wie diese Aufarbeitung zum Teil geschieht, hat immer wieder internationale Kritik hervorgerufen, auch der Bundesregierung“, betonte Seibert und ergänzte: „Den Gesprächsfaden abreißen lassen, das wäre gewiss keine vernünftige Lösung.“ Für Merkel stehe fest: „Die Türkei ist und bleibt für uns Deutsche wie für uns Europäer ein überaus wichtiger Nachbar und überaus wichtiger Partner.“

Seibert ließ offen, ob Merkel auch Oppositionelle treffen wird. Er wies den Vorwurf von Politikern und türkischen Verbänden zurück, Merkels Besuch könnte als Wahlkampfhilfe für Erdogan gewertet werden, weil die Türkei in wenigen Wochen über die Einführung eines Präsidialsystems abstimmt, das ihm viel mehr Macht verleihen würde.

Infografik: Mehrheit der Deutschen für Engagement in der Türkei | Statista
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista, Referenz

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Vizevorsitzende der deutsch türkischen Parlamentariergruppe, Özcan Mutlu, erklärte, Merkel müsse unbedingt Oppositionspolitiker und Menschenrechtler treffen. „Ihr letzter Besuch wurde als Wahlkampfhilfe für Erdogan verstanden und von der gleichgeschalteten türkischen Presse als Erfolg für die AKP dargestellt.“

Der türkische Vize-Ministerpräsident Veysi Kaynak warf Deutschland unterdessen Terrorunterstützung vor. Die Bundesrepublik sei ein Land, das „allerart Terroristen, die der Türkei eine Plage sind, mit offenen Armen empfängt“, sagte er in einem Interview der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Dazu gehörten unter anderem „Terroristen“ der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Ankara hatte verärgert auf deutsche Kritik an der Lage der Demokratie in der Türkei und angeblich mangelnde Solidarität Berlins nach dem Putschversuch reagiert. Seit Juli 2016 sind Zehntausende Menschen entlassen oder verhaftet und die Medien stark eingeschränkt worden. Amnesty International in Istanbul berichtete jüngst, inzwischen seien beinahe 400 Nichtregierungsorganisationen dauerhaft geschlossen worden, fast ein Drittel der weltweit inhaftierten Journalisten befänden, sich nun in der Türkei in Haft.

Für den Putschversuch macht Erdogan den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich und wirft der Bundesregierung vor, nicht gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Gülen-Bewegung in Deutschland vorzugehen. Meinung