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Ukraine-Konflikt Polen wünscht sich noch mehr Nato

Am Freitag beginnt in Warschau ein Nato-Gipfel. Vor allem Polen wünscht sich mehr Truppen im eigenen Land - aus Angst vor den Russen.

04.07.2016, 23:01

Warschau (dpa) l Mancher Warschauer stöhnt schon jetzt, wenn er an den bevorstehenden Nato-Gipfel denkt. Damit der Tagungsort, das Nationalstadion am Weichselufer, ausreichend gesichert ist, verwandelt sich die polnische Hauptstadt für die Gipfeltage in eine Festung. Eine der wichtigsten Ost-West-Verkehrsadern wird gesperrt, die Umgebung weiträumig abgeriegelt. „Ich wohne in der Sicherheitszone“, klagt der 34-jährige Andrzej Jasinski. „Ich werde mir wohl freinehmen und wegfahren. Den Stress tue ich mir nicht an.“

Für Verteidigungsminister Antoni Macierewicz und seine nationalkonservativen Kabinettskollegen dagegen ist der Gipfel ab Freitag in der einstigen Wiege des Warschauer Pakts eine symbolträchtige Bestätigung der polnischen Zugehörigkeit zum westlichen Bündnis. Nicht nur die Polen, sondern auch ihre baltischen Nachbarn erwarten Gipfelbeschlüsse, die die gegenseitige Solidarität bekräftigen und die Ostflanke der Nato stärken.

In Warschau soll beschlossen werden, dass Einheiten aus Nato-Staaten im Rotationsrhythmus in Polen und den baltischen Staaten präsent sind. Wenn es nach Macierewicz und seinen Kollegen in Vilnius, Riga und Tallinn geht, lautet das Prinzip: Je mehr Soldaten, desto besser.

Der nationale Sicherheitsberater Polens, Pawel Soloch, sieht da durchaus Spielraum. „Das Volumen kann noch vergrößert werden, wenn sich die russische Haltung nicht ändert. Das ist eine offene Frage, und so muss man auf die Entscheidungen zur Verteilung von Bündnistruppen blicken.“

Seit Beginn des Konflikts in der Ukraine drängen vor allem Polen und die drei baltischen Staaten auf eine Stärkung der Ostflanke. Auch wenn die Kämpfe in der Ostukraine in den Medien von anderen aktuellen Ereignissen in den Hintergrund gedrängt wurden: Der Konflikt in der Nachbarschaft ist in Polen immer präsent. In der Warschauer Innenstadt wurde ein Hilfs- und Beratungszentrum für Ukrainer eingerichtet.

Die Zahl internationaler Militärübungen in der Region wurde verstärkt – zuletzt wurde im Rahmen des Manövers „Anakonda“ zehn Tage lang die Abwehr einer Aggression geübt. Dass es im Westen auch kritische Stimmen gab und etwa Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier von „lautem Säbelrasseln“ sprach, stieß in Warschau auf Unverständnis.

Gibt es in Polen und dem Baltikum eine Überreaktion, wenn es um Russland geht? Um das Misstrauen zu verstehen, darf man die Geschichte dieser Länder nicht vergessen. Polen wurde im 18. Jahrhundert unter den Großmächten Preußen, Österreich und Russland aufgeteilt und verschwand mehr als 100 Jahre von der europäischen Landkarte.

Im Zweiten Weltkrieg teilten nicht nur das nationalsozialistische Deutschland und die Sowjetunion das Land in Interessenzonen, die eigenen Verbündeten lieferten Ostmitteleuropa mit den Beschlüssen der Konferenz von Jalta der Kontrolle der Sowjetunion aus. Die baltischen Staaten wurden gar gegen ihren Willen Sowjetrepubliken.

Kurzum: Das Verhältnis zu Russland ist durch die Geschichte belastet. Die Annektion der Krim und der Konflikt in der Ukraine haben das Misstrauen noch verstärkt.

Die polnische Regierung hofft zwar auf eine stärkere Präsenz von Nato-Truppen, aber allein darauf will sie nicht setzen. Von September an soll im Rahmen der Territorialverteidigung eine Freiwilligenmiliz mit etwa 35 000 Mitgliedern aufgebaut werden. „Die Landesverteidigung müssen alle angehen“, betonte Macierewicz vor wenigen Wochen auf einem Treffen mit paramilitärischen Gruppen.

Und er versicherte den Freizeitsoldaten: „Das Vaterland wartet auf euch.“