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Währungsreform Die Geburt des Mythos D-Mark

Die Deutsche Mark galt jahrzehntelang als Garant der bundesdeutschen Prosperität. Dann wich sie dem Euro.

Von Steffen Honig 20.06.2018, 01:01

Magdeburg l Je länger die D-Mark aus dem Zahlungsverkehr verschwunden ist, um so mehr wird ihre Rolle verklärt. Die Verehrung gleicht der einer Reliquie. Die Legende um das Wirtschaftswunder-Geld ist schnell erzählt: Drei Jahre nach dem Krieg bekam jeder in Westdeutschland 40 Deutsche Mark in die Hand gedrückt, baute sein kriegszerstörtes Land wieder auf und wurde wohlhabend. Eine schöne Geschichte, aber ein Märchen.

Das mit den 40 Mark stimmt. Allerdings gab es zu diesem „Kopfgeld“, das am 20. Juni 1948 ausgezahlt wurde, einen Monat später noch einen Nachschlag von 20 DM. Dazu wurden Löhne, Renten, Aktien und Mieten in den drei Westzonen und Westberlin 1:1 von Reichsmark in DM umgetauscht. Doch von diesem Kapitalstock allein hätte sich kein Wirtschaftswunder bezahlen lassen.

Die Mittel von Sparbüchern und anderen Guthaben flossen ein. Allerdings deutlich abgewertet: 100 Reichsmark auf dem Sparbuch waren 10 D-Mark wert. Wobei dieser Idealwert in der Regel nicht aufging, weil ein Teil der Rücklagen über Monate blockiert und dann weiter abgewertet ausgezahlt wurde. Gleiche Chancen für alle gab es freilich nicht. Wer vor der Währungsreform durch Erbschaften, Aktien oder Landbesitz viel besaß, der behielt es. Antikapitalistische Ansätze, wie sie auch das „Ahlener Programm“ der CDU von 1947 enthielt, wurden mit dem sich verschärfenden Kalten Krieg abgeräumt.

Durch die Westalliierten unter Zugzwang gebracht, musste die Sowjetunion in ihrem Sektor eine eigene Währungsreform organisieren. Es gab aber kaum Papier für die Geldscheine. Also wurde auf die Reichsmark-Banknoten flugs ein neuer Wert aufgeklebt. Die „Tapetenmark“ war geboren. Ein Menetekel: Die Ost-Mark hinkte dem westdeutschen Pendant im Wert von Anfang an hinterher.

Mehr als 40 Jahre später war für viele DDR-Bürger der politische Umbruch erst unumkehrbar, als sie am 1. Juli 1990 die D-Mark in der Hand hielten – für zwölf Jahre, bis zur Euro-Einführung 2002.

Was aber machte die Schubkraft der neuen Währung aus? Noch lag das Land vollkommen am Boden. Den ökonomischen Ruck, der ab Sommer 1948 durchs Land ging, bewirkte die Abschaffung der Zwangswirtschaft und der Übergang zur Marktwirtschaft, den Ludwig Erhard durchsetzt. Für 90 Prozent der Waren wurde die Preisbindung aufgehoben. Mit der Unterstützung Konrad Adenauers trimmte Erhard auch die CDU mit den „Düsseldorfer Leitsätzen“ auf die soziale Marktwirtschaft.

Ab Anfang der 1950er Jahre ging es mit der westdeutschen Wirtschaft spürbar aufwärts. Verschiedene Faktoren machten dies möglich. Dazu zählen die Hilfen aus dem Marshall-Plan. Auch das Londoner Schuldenabkommen von 1953 wirkte sich wirtschaftsfördernd aus. Es reduzierte die Vorkriegsschulden Deutschlands auf 13,7 Milliarden Mark. Das bedeutete einen Schuldenschnitt von rund 50 Prozent. Die Reparationsverpflichtungen Westdeutschlands wurden bis zu einer endgültigen Regelung zurückgestellt.

Zudem war die D-Mark anfangs unterbewertet, was die Exportkraft der Bundesrepublik enorm stärkte. Das Wachstum auch in anderen westeuropäischen Staaten bewirkte eine große Nachfrage nach deutschen Erzeugnissen wie Fahrzeugen und Maschinen sowie der Chemie und Elektrik.

Auch die Binnennachfrage wuchs: Der Konsum steigerte sich in Wellen genannten Etappen – von der Fresswelle über die Wohnwelle bis zur Reisewelle.

Die D-Mark hatte sich mittlerweile zu einer der härtesten Zahlungsmittel der Welt entwickelt. Wichtigste Wegmarke: Die bundesdeutsche Währung und ist damit für Inländer und Ausländer gegen andere Währungen frei tauschbar.

Für die Bundesbürger stellte der Aufschwung nichts Abstraktes dar – er war greifbar. Das Brutto-Sozialprodukt stieg zwischen 1950 und 1960 um das Dreifache. Darüber hinaus wuchsen die durchschnittlichen Netto-Einkommen in diesem Zentrum um das Zweieinhalbfache.

Symbol und Träger dieses Erfolgs war die Deutsche Mark. Mit diesem Zahlungsmittel schien Deutschland den Stein der Weisen gefunden zu haben. Auf Geld und Währungssystem war Verlass – endlich! Nach zwei Weltkriegen, der Hyperinflation der 1920er Jahre und der Weltwirtschaftschaftskrise wenig später gab es die Sicherheit, die sich Generationen ersehnt hatten. Deshalb wollen sie viele Deutsche zurück. Sie vergessen, dass die D-Mark heute ganz anderen Risiken ausgesetzt wäre.

Die „Wunderwährung“ ist noch massenhaft unter den Leuten. Das „Handelsblatt“ meldete, dass Millionen von D-Mark-Scheinen und Milliarden Münzen nicht umgetauscht seien. Oft tauchen sie bei Haushaltsauflösungen oder Renovierungsarbeiten auf. Dieses Geld hat einen beträchtlichen Wert: Ende Juni 2017 waren es laut Bundesbank Scheine und Münzen im Gesamtwert von 12,67 Milliarden Mark.