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Weltlage Ruhe vor dem nächsten Sturm

Die Regierungskrise in Berlin ist vorbei. Doch beim Nato-Gipfel droht neues Ungemach.

08.07.2018, 23:01

Berlin (dpa) l Die Welt dreht sich noch nach diesen Krisentagen. Doch bleibt die Ahnung, dass die Sache noch nicht ausgestanden ist – nicht die Regierungskrise in Berlin, nicht der Streit in Europa, nicht das Zerren und Reißen an der fünf Thesen zum globalen Stand der Dinge:

Kann aus dieser Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die von Anfang an unter keinem guten Stern stand, noch eine einigermaßen normale Regierung werden? Die Chancen dafür scheinen deutlich geringer zu sein als das Risiko einer neuen Krise. Merkel und ihr CSU-Innenminister Horst Seehofer gehen geschwächt und unversöhnt aus dem Asyl-Streit heraus. Die SPD konnte von dem unionsinternen Konflikt nicht profitieren.

Gut möglich, dass auf das Sommertheater die Herbst-Depression folgt – bei den Landtagswahlen in Hessen und vor allem in Bayern. Dümpeln dort die Umfragewerte der CSU weiter unter der absoluten Mehrheit, wird die Nervosität bei den Christsozialen wieder steigen. Und jeder verlorene Prozentpunkt der SPD bwird den Unmut über die Große Koalition in Berlin wachsen lassen. Was das Bündnis aus CDU, CSU und SPD vor allem zusammenschweißt, ist die Aussicht, dass bei einer Neuwahl alles viel schlimmer kommen könnte.

Nicht nur der Merkel-Seehofer-Waffenstillstand lässt viele Fragen offen, ähnlich ist es bei der von Merkel mühsam errungenen Einigung des EU-Gipfels zur Migration. Sie sprach aber immerhin von einer „guten Botschaft“ nach „intensiver Diskussion“ – was so viel heißt wie: Es flogen die Fetzen, bis alle mitmachten.

Nur las danach jeder aus dem verquasten Text, was er wollte. Italien freute sich, dass es nun nicht mehr alleine für ankommende Flüchtlinge zuständig sei, sondern die ganze EU. Österreich pocht auf „Schutzzentren“ in Afrika. Die Osteuropäer sehen sich aus dem Schneider, weil Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen rein freiwillig sind. Und so fort. Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras verließ Brüssel mit dem bitteren Fazit: „Die EU ist tief gespalten.“

Für die einen ist diese Spaltung erschreckend – den anderen ist sie bestenfalls egal. „Innerhalb eines Jahres wird sich entscheiden, ob es das vereinte Europa noch gibt oder nicht mehr“, sagte Italiens neuer Innenminister Matteo Salvini neulich dem „Spiegel“. Es war übrigens Salvini, mehr noch als Merkel, der mit der einseitigen Zurückweisung von Flüchtlingsschiffen im Mittelmeer die EU unter Handlungsdruck setzte. Die neue Populisten-Koalition in Rom hat die Tektonik in Europa verschoben: Nationalismus ist kein Grund mehr für Scham. Italien first, Ungarn first, Österreich first, Bayern first – jeder macht seins und bequemt sich zum Konsens nur, wenn es passt.

 Der Trumpismus hat dafür gesorgt, dass auch deutsche regierende Politiker wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Glauben an die von durch internationale Organisationen und Abkommen geordnete Welt aufzugeben scheinen. Die „Zeit des geordneten Multilateralismus“ sei vorbei, sagte Söder vor Kurzem und erschreckte damit auch viele Kollegen in den eigenen Reihen. Bayern first? Zum Verhalten der CSU in den vergangenen Krisentagen passt das jedenfalls.

Eine Weile sah es so aus, als schlösse Europa mit dem Druck von außen die Reihen. „Der Brexit hat uns stärker zusammengeschweißt als früher“, machte sich Ratspräsident Donald Tusk schon voriges Jahr Mut. Und auch gegen die ständigen Breitseiten aus Washington schien die EU geeint, vor allem im Handelsstreit, wo der EU-Gipfel zuletzt klare Kante androhte. Der Philosoph Jürgen Habermas erhebt trotzdem Anklage gegen die „fehlende Handlungsfähigkeit“ der EU, und zwar vor allem bei der Frage, die er noch vor der Migration für den Kern des Problems hält: die wirtschaftliche und soziale Spaltung der EU.