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Zitteranfälle Staatsgeheimnis Gesundheit

Die Kanzlerin verrät auch nach vier Zitteranfällen nicht viel über ihre Gesundheit. Wie wird in anderen Ländern damit umgegangen?

13.07.2019, 07:02

Berlin (dpa) l Eine solche Szene hat es vor dem Kanzleramt noch nicht gegeben. Kanzlerin Angela Merkel und die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sitzen auf zwei Stühlen, während das Wachbataillon der Bundeswehr die Nationalhymnen abspielt. Das Protokoll sieht vor, dass die Kanzlerin und ihr Gast die Zeremonie im Stehen absolvieren. Insgesamt drei Mal hat die Kanzlerin in solchen Situationen aber minutenlang gezittert, zuletzt bei der Begrüßung des finnischen Ministerpräsidenten Antti Rinne. Jetzt haben ihre Leute einen Weg gefunden, eine Wiederholung zu vermeiden. Trotzdem bleiben viele Fragen rund um Merkels Gesundheit. Muss man ihre Schweigsamkeit respektieren oder haben rund 80 Millionen Deutsche das Recht, mehr über ihre Kanzlerin zu erfahren?

In anderen Ländern wird die Privatsphäre von Spitzenpolitikern jedenfalls weitaus weniger geachtet als hierzulande. In den USA ist es beispielsweise Konsens, dass Präsidenten und Präsidentschaftsbewerber Einblick in medizinische Details geben. So lud der inzwischen gestorbene Republikaner John McCain im Mai 2008 rund 20 Journalisten ein, um mehr als tausend Seiten seiner Gesundheitsakten durchzugehen. Der Präsidentschaftskandidat war zu diesem Zeitpunkt 71 Jahre alt, er sah sich Fragen ausgesetzt, ob er gesundheitlich überhaupt in der Lage sei, das mächtigste Amt der Welt auszuüben. Wie glaubwürdig die Medizinchecks der Präsidenten sind, ist spätestens seit Donald Trump umstritten. 2018 attestierte der damalige Chefmediziner im Weißen Haus, Ronny Jackson, ihm in übertrieben wirkenden Lobeshymnen eine exzellente Gesundheit und eine tadellose geistige Verfassung. Unter anderem sagte Jackson, Trump hätte, auch aufgrund seiner hervorragenden Gene, 200 Jahre alt werden können – wenn er sich nur besser ernährt hätte. Jackson wurde wenig später von Trump als Minister für die Angelegenheiten von Kriegsveteranen für einen Kabinettsposten vorgeschlagen. Allerdings zog der Mediziner seine Bewerbung zurück, nachdem Vorwürfe gegen ihn laut geworden waren, die sich unter anderem auch um Alkoholmissbrauch im Job drehten.

Ganz anders läuft es in Russland. Der Kreml hütet den Gesundheitszustand des russischen Präsidenten wie zu Sowjetzeiten wie ein Staatsgeheimnis. Dass Kremlchef Wladimir Putin auch mit 66 Jahren topfit ist, sollen regelmäßig Bilder beim Judo und beim Eishockeyspielen zeigen. Die Botschaft ist: Wer so aktiv ist und im Judo seinem schwarzen Gürtel noch alle Ehre macht, dem kann nichts fehlen. Fast schon Kultstatus haben seine Auftritte mit freiem Oberkörper – als scheinbar kerngesunder Naturbursche beim Angeln oder Reiten. Aber auch schon bei einem öffentlichen Arztbesuch hat er sich seine Fitness bescheinigen lassen. Dabei gilt in Russland die Devise, dass der Präsident nicht sich selbst gehört: Gerade weil in einer Autokratie wie Russland alle wichtigen Entscheidungen von einem Menschen getroffen werden, träfe eine Krankheit des Präsidenten das Land bis ins Mark.

Wohl auch deshalb gab es 2012 einigen Wirbel: Wegen einer monatelangen Reisepause gab es Spekulationen über Russlands „Rückgrat Nummer eins“, weil sich Putin vom türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan in den Sessel helfen ließ. Auch bei einem Besuch von Angela Merkel in Moskau empfing er die Kanzlerin sitzend. Deutlicher, als dass Putin eine ältere Sportverletzung plagen könnte, wurde Kremlsprecher Dmitri Peskow damals nicht.

In der arabischen Welt ist die Gesundheit der Staats- und Regierungschefs ebenfalls ein großes Tabu – und doch ein großes Thema, weil viele Politiker in hohem Alter sind. Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika (82) saß seit einem Schlaganfall 2003 im Rollstuhl, trat kaum noch öffentlich auf. Algerische Karikaturisten stellten ihn oft als Gespenst dar. Immer wieder flog er zu Behandlungen in die Schweiz. Offizielle Informationen gab es dazu fast nie.

Wenn es doch einmal Informationen gibt, schürt das gleich Gerüchte. Erst vor zwei Wochen teilte das tunesische Präsidialamt mit, dass Präsident Beji Caid Essebsi (92) ins Krankenhaus gebracht werden musste. Sofort kursierten wilde Gerüchte, die ihn schon für tot erklärten. Erst spät gab es ein Foto des Präsidialamtes, das den Staatschef im Kreis der Ärzte zeigte – und bis heute keine Erklärung für den Krankenhausaufenthalt.

Im Vatikan gilt eine ganz radikale Devise: „Päpste sind nicht krank, Päpste sterben.“ Im Klartext: Über die Gesundheit des Kirchenführers wird zu Lebzeiten nicht gesprochen, bekannt gegeben wird erst der Tod.