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Coronavirus Kein Camp mehr in Kambodscha

Die Halberstädterin Henriette Loose ist als Freiwillige nach Kambodscha gegangen. Nun sitzt sie in Phnom Penh fest.

Von Dana Toschner 27.03.2020, 07:36

Phnom Penh l So hatte sich Henriette Loose das Ende ihrer Zeit in Kambodscha nicht vorgestellt. Am Dienstag vergangener Woche fand sie eine E-Mail in ihrem Postfach, die sie aufforderte, sofort nach Hause zurückzukehren. Sie ist eine von 3100 deutschen Freiwilligen, die die Organisation „weltwärts“ derzeit wegen der verschärften Situation rund um die Ausbreitung des Coronavirus aus 57 Ländern zurückholt. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen.

Henriette Loose wollte eigentlich noch bis August auf Koh Seh Island bleiben. Die kleine Insel im Golf von Thailand, 15 Kilometer vor dem kambodschanischen Festland, ist in den vergangenen sechs Monaten zu ihrem Zuhause geworden. Bis zu 20 Gleichgesinnte haben auf der ansonsten unbewohnten Insel in einem Camp der Marine Conservation Cambodia gelebt: Meeresbiologen, Umwelt-wissenschaftler und -aktivisten aus der ganzen Welt, die der Wunsch eint, aktiv etwas für den Umweltschutz zu tun. Sie befreiten das Meer von Plastik-abfällen, stellten künstliche Riffs für Meeresbewohner her und erforschten Delfine.

Ein Leben fernab der Zivilisation nehmen die Freiwilligen in Kauf: Es gibt auf der Insel kein fließendes Wasser, keinen Supermarkt, kein Theater, kein Kino, kein WLAN. Man schläft in einer Gemeinschaftshütte auf einer Holzpritsche. „Es ist faszinierend, wie wenig man für ein erfülltes Leben braucht, der vermeintliche Mangel wird zum privilegierten Vorteil“, sagt Henriette Loose. Doch auch auf diesem kleinen Eiland hat das Coronavirus das Leben durcheinandergebracht. Inzwischen sind alle Freiwilligen abgereist – bis auf Henriette. „Es war ein Schock, es sind viele Tränen geflossen“, erzählt die 20-Jährige.

Bei der Rückholaktion der Bundesregierung seien bislang 120 000 Menschen aus den Haupturlaubsgebieten in ihre Heimat zurückgeholt worden, sagte Außenminister Heiko Maas. Der Großteil der Urlauber konnte demnach zurück nach Deutschland gebracht werden, so dass die Aktion als weitestgehend abgeschlossen gilt. Jetzt gehe es noch um Deutsche in weiter entfernten Ländern. Dies sei logistisch „deutlich komplizierter“, machte Maas klar. Er geht davon aus, dass sich noch immer 80 000 Touristen im Ausland befinden und noch nach Deutschland wollen.

Die Lufthansa und ihre Tochter-Airlines Swiss, Austrian Airlines, Eurowings, Brussels Airlines und Edelweiss haben bisher rund 40.000 Bürger in Rückholaktionen nach Europa geflogen, 16.000 davon seien vornehmlich deutsche Staatsbürger, teilte ein Konzernsprecher mit. Es seien 50 weitere Flüge geplant, die im Auftrag von nationalen Regierungen oder Touristikunternehmen stattfänden.

Henriette wartet in Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas, seit eineinhalb Wochen auf einen Rückflug. Sie ist in einer WG untergekommen, in der zwei andere Deutsche wohnen. Alle sitzen auf gepackten Koffern, halten Kontakt zur Deutschen Botschaft, trauen sich kaum mehr raus. „Jeder trägt Mundschutz, wenn du ein Geschäft betrittst, werden die Hände desinfiziert, und in vielen Läden wird am Eingang Fieber gemessen. Ich bin verzweifelt und will einfach nur noch nach Hause.“

Eigentlich hätte sie dort längst sein sollen, doch der Flug, der sie über Dubai nach Deutschland bringen sollte, wurde gecancelt. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben alle Passagierflüge untersagt. Da sind auch der Austauschorganisation die Hände gebunden. Man versucht, Flüge über andere Länder zu buchen, aber was heute zu funktionieren scheint, kann morgen schon gestrichen sein. „Sicherheit geht vor Schnelligkeit“ ist die Devise bei der Rückholung der Freiwilligen, da sind sich die Organisation „weltwärts“ und der Verein VIA, der Henriette Loose in das kambodschanische Projekt entsendet hat, einig.

Zu Hause in Halberstadt sorgen sich die Eltern Annegret und Jörg. „Nichts tun zu können außer zu warten, das macht mir zu schaffen“, sagt ihre Mutter Vater Jörg versucht, die Ängste um die Tochter zu verdrängen. Die Eltern haben eine E-Mail an das Auswärtige Amt geschickt, damit man Kambodscha nicht vergisst. „Ob das gelesen wird, weiß ich nicht. Aber wir wollten es wenigstens versucht haben.“ Auf der Liste der Rückholaktion der Bundesregierung stehen 31 Länder. Kambodscha fehlt.

Doch es gibt Hoffnung für Henriette. Am Sonntag, so hat ihr die Austauschorganisation per E-Mail mitgeteilt, soll sie um 0.30 Uhr in ein Flugzeug steigen, das sie nach Südkorea und von dort nach Frankfurt bringt. Vorher muss sie sich bei einem Arzt ein Attest ausstellen lassen, um der Airline nachzuweisen, dass sie gesund ist. „Ich bete so sehr, dass es klappt.“