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Einfach Olympisch Chorsingen ist Mannschaftssport

Sachsen-Anhalts heimliche Olympia-Experten kommen zu Wort. Diesmal spricht Chorleiterin Astrid Schubert über Teamgeist.

Von Jörn Wegner 26.07.2016, 01:01

Frau Schubert, welche Bedeutung hat der Teamgeist für einen Chor?

Astrid Schubert: In der Chorarbeit geht es nie ohne Teamgeist. Teamgeist bedeutet, dass eine Gruppe auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitet. Jedes Mal, wenn sich jemand aus diesem Team herausnimmt, wird das bereits Erarbeitete zerstört. Man kann also nicht einfach sagen, ich will jetzt mal ein bisschen schneller oder lauter singen als die anderen. Man darf sich nie in den Vordergrund drängen, sondern muss immer als Team arbeiten und sich in das Ganze einfügen, aufeinander hören. Erst dann bekommt man das angestrebte Ergebnis.

Wie bekommt man heraus, wer teamfähig ist und wer nicht?

Zunächst gibt es in der 4. Klasse eine Eignungsprüfung, bei der festgestellt wird, ob das Kind über die erforderliche Musikalität verfügt, also talentiert ist. Die meisten fügen sich von Anfang an in die Gruppe ein, wollen sofort alles mitmachen. Es gibt aber auch einige, die sich erstmal absondern. Hier sind Einfühlungsvermögen und Erziehungsarbeit notwendig.

Wie sieht so eine Prüfung aus?

Es wird zum Beispiel untersucht, ob ein Sänger einen vorgegebenen Ton halten kann, auch wenn alle anderen um ihn herum andere Töne singen. Gerade in der modernen Chorliteratur ist diese Fähigkeit wichtig: Ich muss im Team doch auf meinem „tonlichen“ Weg bleiben, egal, was die anderen singen.

Wenn Chor Sport wäre, welcher wäre das?

Auf jeden Fall eine Mannschaftssportart, bei der man aufeinander reagieren muss. Und eine Sportart, bei der man sich sehr gut kennen muss. Wahrscheinlich eine Ballsportart.

Fußball?

Fußball vielleicht. Aber manchmal darf man da ja auch seine eigenen Wege gehen. Vielleicht doch eher Sportarten, bei denen in Formation präsentiert wird, z.B. Rhythmische Sportgymnastik oder im Karate die Team-Kata. Hier muss man sehr genau auf die anderen im Team achten und sich einfügen, damit alle Ausführungen einheitlich sind.

Gab es schon einmal Sängerinnen und Sänger, die aus der Reihe ausgetreten sind?

Ja, im positiven Sinn sind das diejenigen, die sich so stark entwickelt haben, dass sie eine Solistenkarriere anstreben. Die muss ich manchmal sogar bremsen in ihrem starken Bemühen, z.B. sagen, dass sie nicht so laut singen dürfen. Oder sie müssen im Chor einen Platzwechsel akzeptieren, damit die Klanghomogenität erhalten bleibt. Es gibt aber auch andere, die Hilfe brauchen um richtig zu singen. Hier ist es sinnvoll, wenn sie zwischen zwei starken Sängern stehen. Und im negativen Sinne sind das diejenigen, die kurz vor einem Konzert sagen, dass sie nicht mitsingen oder sich plötzlich krank melden. Das geht natürlich nicht, denn sonst würde irgendwann das ganze Team auseinanderbrechen.

Was tun Sie dann?

Es gibt bei uns die Regel, dass Termine, Auftritte und Proben verbindlich sind. Da darf man nicht fehlen. Es ist ja auch Teil des Stundenplans, wie ein Unterrichtsfach. Wenn Schüler öfter fehlen, muss man darüber nachdenken, ob die Wahl des Musikzweiges die richtige für das Kind war. Das muss man gemeinsam mit den Eltern entscheiden.

Hatte dieser fehlende Teamgeist schon einmal Auswirkungen?

Vor vielen Jahren sollte es zu einem Wettbewerb ins Ausland gehen. Ein Mädchen hat plötzlich gesagt, sie möchte lieber zu Hause bei ihrem Freund bleiben und fährt nicht mit. Als Chorleiter kann man das nicht akzeptieren, alle haben sich gemeinsam auf diesen Höhepunkt vorbereitet, denn ein Wettbewerb ist immer ein besonderer Höhepunkt. Bei diesem Mädchen war aber in diesem Moment das Persönliche wichtiger als der Teamgeist. Sie musste mit der Konsequenz leben, von weiteren Konzerten ausgeschlossen zu werden.

Wie motiviert man die Kinder und Jugendlichen?

Die Freude am gemeinsamen Musizieren, an den Liedern, ist eine große Motivation. Anerkennung und Erfolg auch. Ich denke, dass durch unser erfolgreiches Arbeiten viele auch die zeitintensive Ausbildung akzeptieren. Den Kindern bleibt wenig Zeit für andere außerschulische Aktivitäten. Wer jedoch eine qualitativ hochwertige Ausbildung möchte, der meldet sich hier an.

Kommt nicht doch irgendwann das Alter, in dem andere Dinge als der Chor wichtiger sind?

In der Pubertät, mit 14, 15 Jahren, ist es am schwierigsten. Da sinkt die Motivation, weil andere Interessen plötzlich im Vordergrund stehen. Wir hatten auch schon Kinder, die sich einfach überfordert fühlten. Sie haben eine Weile bei den Proben ausgesetzt und waren danach wieder mit Begeisterung dabei. Man darf nicht vergessen, dass nach acht Stunden Schule die Chorprobe beginnt und wieder volle Konzentration fordert. Auch das ist Teamgeist. Denn wenn ich in der Probe unkonzentriert singe, lerne ich nicht, was vermittelt wird und singe in der Folge immer falsch. Dann müssen alle, auch die Aufmerksamen, bestimmte Stellen immer wieder üben, was zur Belastung wird und die Probenzeit unnötig in die Länge zieht.

Feinden die Stärkeren dann den Schwächeren an?

Irgendwann werden alle ungeduldig, natürlich. Wenn man aber merkt, derjenige bemüht sich und will es schaffen, gibt es sofort andere, die ihm helfen. Wenn aber der Eindruck entsteht, er hat keine Lust, werden die anderen sauer. Besser klappt das immer vor Konzerten und Wettbewerben. Da wollen alle das Gleiche und unterstützen sich gegenseitig.

Ist so ein Wettbewerb mit Olympia vergleichbar?

Unbedingt. Wir vergleichen das generell oft mit Sport. Wir müssen die Gesangsmuskulatur trainieren, wir müssen eine bestimmte Probenmethodik einhalten, die sich wie im Sport immer steigert. Und dann muss man bei Konzerten all das Gelernte und Geübte abrufen können. Auch diese Situation muss vorher trainiert werden. Man kann nicht einfach sagen, in der Probe singe ich nur mit halber Kraft, aber im Konzert wird es dann schon klappen.

Was haben die Schüler eigentlich von der Chorarbeit?

Der Chor lehrt sie Zeitmanagement, Disziplin, Ausdauer und eben Teamgeist. Das zahlt sich schon bei ihren schulischen Leistungen aus. Wir haben kaum jemanden aus dem Musikzweig, der sein Abitur nicht schafft. Gleichzeitig erhalten sie eine Chorleiterausbildung und lernen so auch, ein Team anzuleiten. Das ist wie im Sport, wenn man die Trainerlizenz bekommt.

Bleiben die Schüler denn bei der Musik?

Die Mitgliedschaft im Chor endet bei uns mit der 10. Klasse. Da stehen oftmals die Berufswünsche noch nicht fest. Viele bleiben aber der Musik in irgendeiner Weise treu. Und manche entscheiden sich sogar, Musiklehrer zu werden, was uns natürlich sehr freut.

Interessieren Sie sich eigentlich selbst für Olympia?

Nur ein bisschen, aber vor der sportlichen Leistung habe ich absolute Hochachtung.