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Forschung Künstlicher Mutterleib soll Frühchen helfen

US-Forscher wollen die Überlebenschancen von Frühchen durch das Heranreifen in einem Beutel, einer Art künstlichen Gebärmutter, erhöhen.

27.04.2017, 17:16

Philadelphia (dpa) l Extreme Frühchen könnten eines Tages in einer Art künstlichen Gebärmutter außerhalb des Mutterleibes heranreifen, bis sie für ein Leben in der Außenwelt bereit sind. US-Forscher haben ein solches System mit unreifen Lämmern getestet – und gezeigt, dass die Idee grundsätzlich funktioniert. Die Lämmchen sind dabei in einem flüssigkeitsgefülltem Beutel eingeschlossen, ihre Nabelschnur ist mit einer Maschine verbunden, die Sauerstoff und Nährstoffe liefert. Allerdings gab es bei den Experimenten auch Komplikationen, die eine Anwendung beim Menschen derzeit noch verbieten, wie die Forscher im Fachmagazin "Nature Communications" berichten.

Auch deutsche Experten weisen darauf hin, dass die Methode noch hochexperimentell ist und über Jahre weiterentwickelt werden muss. "Der Schritt vom Schaf zum Menschen ist ein großer", sagt Rolf Maier vom Universitätsklinikum Marburg, Präsident der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin (GNPI). "Rein technisch ist das ein großer wissenschaftlicher Fortschritt, die weitere Entwicklung dieser Technologie muss jedoch auch mit großer ethischer Gewissenhaftigkeit erfolgen."

Die Überlebenschancen von Babys, die extrem früh zur Welt kommen, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verbessert. Heutzutage können – zumindest in der westlichen Welt – selbst Kinder überleben, die nach 22 Schwangerschaftswochen mit einem Gewicht von weniger als 500 Gramm geboren werden. Allerdings ist die Sterblichkeit in dieser Gruppe noch immer hoch und bei vielen Kindern bleiben gesundheitliche Schäden zurück. Vor allem die Lunge ist zu diesem Zeitpunkt der Schwangerschaft noch nicht ausgereift und für das selbstständige Atmen eigentlich nicht bereit.

Die Wissenschaftler um Emily Partridge vom Children's Hospital in Philadelphia suchen nach einer Möglichkeit, solche extremen Frühchen für einige Wochen in einem möglichst natürlichen Umfeld außerhalb des Mutterleibs heranreifen zu lassen. Etwa ab der 28. Schwangerschaftswoche sinkt das Risiko gesundheitlicher Schäden erheblich. Die Forscher entwickelten ein System, das die Bedingungen in der Gebärmutter bestmöglich nachahmt und den Frühchen "eine Brücke in die Welt" bieten soll, wie sie in ihrem Beitrag schreiben.

Nach vielen Vorversuchen testeten die Wissenschaftler ein ausgereifteres System an acht Lämmern, die nach einer Tragzeit von 105 bis 120 Tagen per Kaiserschnitt geboren wurden. Ihr Entwicklungsstand entsprach etwa dem von Frühchen im Alter von 23 bis 24 Wochen. Die Forscher schlossen die Nabelschnur der Lämmer dann schnellstmöglich über Kanülen an eine künstliche Plazenta an und betteten die Lämmer in einen Beutel, den sogenannten Biobag. Dieser wurde mit künstlich erzeugtem Fruchtwasser gefüllt, das beständig ausgetauscht wurde.

"Fötale Lungen sind dafür gemacht, in Flüssigkeit zu funktionieren", erläutert Mitautor Marcus Davey. "Wir simulieren diese Umgebung und erlauben den Lungen und anderen Organen, sich zu entwickeln, während wir Nährstoffe und Wachstumsfaktoren bereitstellen." Innerhalb des Beutels lassen sich sterile Bedingungen aufrechterhalten, Infektionen könnten so verhindert werden. Zudem seien andere Faktoren wie Temperatur, Druck und Lichtbedingungen kontrollierbar.

Das Herz der Lämmer pumpte das Blut selbstständig über die Nabelschnur nach außen zu einer Maschine, die die Aufgabe der Plazenta übernahm. Sie tauscht Sauerstoff und Kohlendioxid aus, bevor das Blut zum Fötus zurückfließt. Es sei wesentlich, dass das System ohne Pumpe auskomme, schreiben die Forscher. Dadurch verringere sich das Risiko, dass das winzige kindliche Herz durch einen Überdruck geschädigt wird. Einige der beteiligten Wissenschaftler halten ein Patent auf so ein "extrakorporales Lebenserhaltungssystem".

Die acht Lämmer blieben zwischen knapp drei bis vier Wochen in dem Beutel – ohne ersichtlichen Schaden zu nehmen. Die Tiere öffneten die Augen, schluckten Fruchtwasser, bekamen ein Fell und wuchsen altersentsprechend. Während ihrer "Beutelzeit" entwickelten sie einen normalen Schlaf-Wach-Rhythmus und machten insgesamt einen wohlbehaltenen Eindruck, schreiben die Forscher. Es gab einige Komplikationen, schwere Schäden an Herz oder am Gehirn wurden aber nicht festgestellt.

Die Forscher betonen, dass ihre Versuche nicht unmittelbar auf menschliche Frühchen übertragen werden können. Menschliche Föten seien zum Beispiel deutlich kleiner als Lämmer zu einem vergleichbaren Entwicklungszeitpunkt, das System müsse daran angepasst werden. Auch die Gehirnentwicklung verlaufe beim Menschen anders. Fraglich sei bisher auch, wie die Verknüpfung zwischen Nabelschnur und Maschine bei menschlichen Babys erfolgen könnte. Studienleiter Alan Flake schätzt, dass es noch etwa zehn Jahre dauern wird, bis extreme Frühchen auf diese Weise versorgt werden könnten.

Zielgruppe seien Babys, die zwischen der 23. und 25. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen sind. Sie arbeiteten nicht daran, Überlebensmöglichkeiten für immer kleinere Frühchen zu schaffen, so die Forscher. Vielmehr sollten die Bedingungen für diejenigen Frühgeborenen verbessert werden, die auch heute schon in den Kliniken versorgt werden. "Dieses System ist vermutlich dem weit überlegen, was Krankenhäuser heute für ein Baby tun können, das in der 23. Schwangerschaftswoche an der Schwelle zur Lebensfähigkeit geboren wird. Es könnte einen neuen Versorgungsstandard für diese Gruppe extremer Frühchen begründen."

Dass Eltern möglicherweise Probleme hätten, ihr Baby in einem Beutel aufbewahrt zu sehen, ist den Forschern bewusst. Die Alternative sei, das Baby an einer Beatmungsmaschine im Brutkasten zu versorgen. "Wir denken, dass es Eltern beruhigen wird zu wissen, dass sich ihr Kind in einer relativ schützenden und physiologischen Umgebung befindet", schreiben die Wissenschaftler. Das System könne so angepasst werden, dass sich die Eltern mit ihrem Baby verbunden fühlen – über Ultraschall, Kameraaufnahmen oder die Möglichkeit, mütterliche Herztöne und andere Umgebungsgeräusche vorzuspielen.

Nach Ansicht von Rolf Maier von der Fachgesellschaft GNPI spielt die natürliche Umgebung und das Wechselspiel zwischen Mutter und Kind eine wesentliche Rolle für die gesunde Entwicklung eines Fötus, und zwar auch auf lange Sicht. Inwieweit die Gesundheit durch eine Entwicklung außerhalb des mütterlichen Körpers möglicherweise beeinträchtigt wird, sei derzeit unklar. Er weist zudem darauf hin, dass die Überlebenschancen dieser Gruppe extrem Frühgeborener europaweit schon erheblich verbessert werden könnten, wenn alle Kinder nach den gegenwärtigen Leitlinien behandelt würden. Das habe eine internationale Studie gezeigt.

Nach Ansicht von Peter Dabrock, dem Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, könnte der Biobag helfen, ein schwieriges Dilemma der Neonatalmedizin zu mildern: Entscheidungen über Frühchen an der Grenze der Lebensfähigkeit forderten Eltern und Ärzten in kognitiv und emotional kaum zu ertragender Weise.

Ein Verbot, menschliche Frühgeborene außerhalb des Mutterleibes weiterzuentwickeln, gebe es im deutschen Recht derzeit nicht, erläutert Jochen Taupitz, geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Biomedizin der Universitäten Heidelberg und Mannheim. Er hält Versuche zur Verwendung eines Biobags bei menschlichen Frühchen dann für zulässig, wenn aufgrund ausreichender Tierversuche die berechtigte Erwartung bestehe, dass der Nutzen für das Kind größer sei als eventuelle Risiken.