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Sternenkinder Porträts von toten Babys für trauernde Eltern

Er fährt ins Krankenhaus, wenn ein Baby stirbt: Martin Witt fotografiert ehrenamtlich sogenannte Sternenkinder - als Trost für die Eltern.

19.02.2021, 23:01

Hann. Münden (dpa) l Martin Witt kennt den Anblick von Toten. "In meinem Beruf komme ich immer, wenn alles schon passiert ist", sagt der Kriminaltechniker aus Südniedersachsen. Er fotografiert an Tatorten, unterstützt bei der Leichenschau. Die Erfahrung hilft ihm, sein Ehrenamt nicht zu nah an sich rankommen zu lassen: Witt arbeitet für die Stiftung Dein Sternenkind, ein Fotografennetzwerk für trauernde Eltern.

Auf deren Wunsch fotografiert Witt totgeborene Kinder oder solche, die kurz nach der Geburt sterben: "Sternenkinder". Trotz aller beruflichen Erfahrung mit Leichen muss Witt bei seinen ehrenamtlichen Einsätzen manchmal schlucken.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag 2020 wird er gerufen – tote Drillinge. Witt fährt ins Krankenhaus. "Das war tragisch", sagt er. Ein anderes Mal wird er geholt, um ein noch lebendes Baby zu fotografieren. Aber: Es ist absehbar, dass es nicht überlebt. Noch bevor Witt wieder zu Hause ist, erhält er den Anruf: "Da war das Kind schon gegangen."

Wie kommt ein Kriminaltechniker zu so einem Ehrenamt? "Das war vor vier Jahren", sagt Witt, der sich mit Fotografie auskennt. Eine Freundin hatte ihm erzählt, dass sie vor vielen Jahren ihr Neugeborenes verloren hatte. Die einzige Erinnerung an ihr Kind: ein verpixeltes Handyfoto. Die Kameras waren damals noch nicht so gut.

Witt beschloss, Eltern ein würdevolles Andenken an ihr totes Kind geben zu wollen. Er recherchierte im Internet und fand die Stiftung Dein Sternenkind. Gut 600 Fotografinnen und Fotografen sind darin organisiert. Stirbt ein Baby, können Eltern oder Krankenhäuser die Freiwilligen kostenlos per App anfordern.

"Sehr, sehr selten kommt im Nachhinein noch ein Dankeschön von den Eltern", sagt Witt. Er schickt ihnen die CD mit den Fotos und bittet darum, Bescheid zu sagen, dass sie angekommen ist. Meist hört er nichts. "Aber dieses stille Verabschieden ist schon ein Ausdruck von Dankbarkeit", findet der 48-Jährige aus Hann. Münden im Süden Niedersachsens.

Auf der Internetseite der Stiftung schildern Eltern ihre Erfahrungen, ihre Verzweiflung, ihre Trauer. Eine Frau erwartete Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen. Das Mädchen Freya überlebt nicht. "Wir haben die Welt nicht mehr verstanden. Unsere Welt stand still", schreibt sie. Ein Sternenkind-Fotograf kam auf ihren Wunsch hin in die Klinik. "Er fragte uns nach unseren Wünschen bezüglich der Fotos. Doch wir hatten nur einen: ein Bild zu dritt. Dies erfüllte er uns."

Dein Sternenkind gibt es seit 2013. Die Stiftung bekam unter anderem den Deutschen Engagementpreis. Vergangenes Jahr rückten die Fotografen zu mehr als 3200 Einsätzen aus. Helferinnen und Helfer werden dringend gesucht – vor allem in Österreich, denn die Nachfrage steigt. "So hatten wir im Januar trotz hartem Lockdown 324 Einsätze – die höchste monatliche Einsatzzahl seit Bestehen von Dein Sternenkind", sagt Stiftungssprecher Oliver Wendland.

Ein Kind stirbt – wie geht man als Fotograf in eine solche Situation, was ist besonders wichtig? "Die Wünsche der Eltern", sagt Kriminaltechniker Witt. Manchmal seien die aber so aufgelöst, dass sie keine Wünsche äußern könnten. Dann ziehe er die Kinder zuerst einmal an. Sie sollen nicht schutzlos wirken auf den Bildern. "Würdevoll, das ist wichtig."

Manche Kinder kommen mit Fehlbildungen zur Welt. Strampler kaschieren so etwas. "Berührungsangst habe ich nicht", sagt Witt. Für seine Arbeit erhielt er 2020 den Ehrenamtspreis der Gewerkschaft der Polizei.

Was bringt es den Eltern, ein Foto von ihrem Kind zu haben? "Es ist wichtig, noch ein Gesicht zu dem Kind zu haben", findet Witt. Die Eltern müssten die Bilder ja nicht direkt aufstellen. Macht man es aber nicht direkt nach der Geburt, kommt die Chance kein zweites Mal. "Diesen Moment kann man nicht wiederholen."