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Studie Ein Drittel der Kinder vermisst Geborgenheit

Wie war dein Tag? Nach einer Umfrage unter Kindern und Jugendlichen in Großstädten ist diese Frage von Eltern nicht selbstverständlich.

27.06.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Fast jedes dritte Kind fühlt sich nach einer Studie in drei deutschen Großstädten von seinen Eltern zu wenig beachtet. Das ist das Hauptergebnis einer Untersuchung der Universität Bielefeld im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung, die gestern in Berlin vorgestellt wurde. Geschulte Studenten haben dafür im Sommer 2016 etwa 1000 Kinder und Teenager im Alter zwischen 6 und 16 Jahren interviewt.

Dass sich ihre Eltern nicht für sie interessieren, haben 72 Prozent der Kinder geantwortet, die sich zu wenig wahrgenommen fühlen. Das waren insgesamt rund 30 Prozent aller befragten Kinder – zehn Prozent von ihnen fühlten sich überhaupt nicht beachtet. Im Ergebnis sagt nur jedes zweite unzufriedene Kind Vater oder Mutter, wenn es vor etwas Angst hat oder Kummer, ergab die Befragung.

Die Wissenschaftler sehen in ihrer Studie ernstzunehmende Trends. „Rund zehn Prozent der Familien sind im sozialen Sinn gar keine“, urteilt der Bielefelder Sozialpädagoge Holger Ziegler, wissenschaftlicher Leiter der Untersuchung. „Sie sind wie Zweckgemeinschaften. Die materiellen Bedürfnisse werden erfüllt, die emotionalen eher nicht.“ Für Ziegler ist das fatal. „Nicht vorhandene Achtsamkeit ist für die Entwicklung von Kindern so gravierend wie ein Leben in Armut“, sagt er.

Die Untersuchung unter dem Titel „Achtsamkeit in Deutschland – Kommen unsere Kinder zu kurz?“ basiert auf persönlichen Befragungen von Jungen und Mädchen. Repräsentativ für Deutschland ist die Studie durch die Beschränkung auf die Großstädte Berlin, Leipzig und Köln jedoch nicht.

Ale zentrales Ergebnis der Untersuchung vermisst ein Fünftel der unzufriedenen Kinder Sicherheit und Geborgenheit im Elternhaus. Bei den Jugendlichen fühlt sich sogar fast die Hälfte (46 Prozent) nicht geborgen. Als Folge sieht Ziegler bei ihnen Defizite beim Selbstbewusstsein und Vertrauen, aber auch weniger Einfühlungsvermögen und Lebenszufriedenheit.

Jugendforscher Hurrelmann findet den Ansatz der Studie interessant. „Sie weist auf ein dringliches Problem der möglichen Vernachlässigung von Kindern heute hin, das in der Öffentlichkeit sicherlich stark tabuisiert ist“, sagt er.

Die Studie zeigt aber auch: Die große Mehrheit der befragten Kinder ist mit der Beachtung durch ihre Eltern zufrieden. 69 Prozent der Kinder und 83 Prozent der Jugendlichen waren der Meinung, dass Mutter und Vater ihnen genügend Aufmerksamkeit schenken. Auffällig war dabei, dass dieses Wohlfühlen weder vom Bildungsgrad der Eltern noch von ihrer sozialen Lage abhing.

Für Forscher Ziegler ist die Liebes- und Fürsorgebeziehung in einer Familie durch keine andere Institution zu ersetzen. „Einen Ort von Geborgenheit, in denen ein junger Mensch auf diese Weise beachtet, wertgeschätzt und geliebt wird, können weder Schule noch Freundeskreis ersetzen“, urteilt er. „Die gute Nachricht ist, dass 70 Prozent der Familien in Deutschland das schaffen.“