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Umweltproblem Plastikmüll bedroht die Ozeane

Gigantische Mengen Plastikmüll gelangen in die Ozeane. Neue Kunststoffe könnten das Problem lösen, aber auch moderne Recycling-Methoden.

18.11.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Anfang 2017 machten norwegische Forscher in einem toten Cuvier-Schnabelwal einen gruseligen Fund. Das Tier hatte dreißig Plastiktüten und jede Menge Mikroplastik in seinem Magen. Der Darm hingegen war leer. Das Plastik hatte vermutlich einen Pfropfen gebildet. Die Bilder des Mageninhalts sind ein besonders plakatives Beispiel für das globale Plastikproblem.

Jährlich werden gigantische Mengen Kunststoff hergestellt, große Teile landen auf dem Müll oder in der Natur. Das Problem dabei: Plastik ist überaus beständig. Laut Umweltbundesamt (UBA) braucht eine Kunststoffflasche geschätzt bis zu 450 Jahre, bis sie sich zersetzt hat.

Klar scheint deshalb: Der Verbrauch von Plastik muss sinken. Gleichzeitig arbeiten Forscher daran, dass bereits hergestellter Kunststoff seltener als Langzeit-Müll endet. Ein Ansatz ist, Plastik zu entwickeln, das sich möglichst schnell und ohne die Bildung von schädlichen Stoffen abbaut.

Diesen Traum hätten Wissenschaftler seit rund 50 Jahren, schreiben Ann-Christine Albertsson und Minna Hakkarainen von der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm im Fachmagazin «Science». «Doch Plastik, das sich umweltfreundlich abbaut, ist in der Praxis schwer herzustellen.» Denn während ihrer Anwendung sollen Kunststoffe ja sehr stabil sein. «Science» widmet sich in mehreren Artikeln der Frage, wie das globale Plastikproblem in den Griff zu bekommen ist.

Die EU-Kommission hat einige prägnante Zahlen zu Plastik gesammelt. Demnach wurden im Jahr 2015 weltweit etwa 322 Millionen Tonnen Plastik hergestellt. Davon gelangen zwischen 5 und 13 Millionen Tonnen pro Jahr in die Umwelt, ein Großteil davon ins Meer. Das Resultat: Im Mittelmeer finden sich pro Quadratkilometer etwa 40 Einzelteile an Müll. An Stränden der südlichen Nordsee sind es laut Umweltbundesamt (UBA) im Mittel 389 Müllteile auf 100 Meter - überwiegend aus Plastik. Hinzu kommt sogenanntes Mikroplastik, winzige Teilchen von einer Größe unter fünf Millimetern.

Die Folgen des Plastiks in der Umwelt beschreibt der Naturschutzbund (NABU) so: «Die Überbleibsel unserer Wegwerfgesellschaft kosten jedes Jahr bis zu 100.000 Meeressäuger und eine Million Meeresvögel das Leben.» Und das sind lediglich die sichtbaren Folgen: Es können auch giftige Stoffe aus dem Plastik in die Nahrungskette gelangen.

Den beiden Forscherinnen Albertsson und Hakkarainen zufolge lässt sich zwar Plastik herstellen, das sich relativ leicht abbaut. Allerdings brauchen diese Stoffe dafür - je nach Beschaffenheit - ein ganz spezielles Umfeld in Bezug auf Temperatur, Feuchtigkeit, chemische oder auch bakterielle Umgebung. «Kunststoffe wie auf Stärke basierende Plastiktüten, die sich schnell auf dem Kompost abbauen, zersetzen sich unter Umständen nicht ohne weiteres im Meer oder in der Erde», schreiben die Forscherinnen.

Weit verbreitete Kunststoffe, die sich unter bestimmten Bedingungen relativ zügig abbauen, sind die sogenannten Polylactide. «Die Materialien werden in Zukunft wohl noch häufiger zum Einsatz kommen, weil ihr Preis und ihre Eigenschaften sie zu einem Ersatz für mehrere herkömmliche Verpackungsmaterialien machen», schreiben Albertsson und Hakkarainen. Die Stoffe bauten sich zwar auf dem Hauskompost oder in Kompostieranlagen ab, in einem natürlichen Umfeld aber oft nicht.

Abbaubare Kunststoffe eignen sich laut Albertsson und Hakkarainen für Anwendungen in der Medizin, als Mulchfolie in der Landwirtschaft, oder auch für abbaubare Plastiktüten. Ein Allheilmittel seien die Stoffe aber nicht. Zudem sei zu befürchten, dass abbaubare Kunststoffe zusammen mit herkömmlichem Plastik recycelt werden. Das könnte zu minderwertigen Plastikprodukten führen. Zudem bestehe die Gefahr, dass Konsumenten mehr Tüten in die Umwelt schmeißen, wenn sie im Hinterkopf haben: "Die zersetzen sich ja eh von selbst."

Da sich Kunststoffe bislang nicht in großem Stil zersetzen, ruhen große Hoffnungen auf der Ausweitung des Recyclings. Dadurch könnte der Ausstoß von Treibhausgasen minimiert und Müll in der Umwelt vermieden werden, schreiben die Chemikerinnen Jeannette Garcia (IBM Almaden Research Center, San José, US-Bundesstaat Kalifornien) und Megan Robertson (Universität Houston, US-Bundesstaat Texas) in «Science». Zudem wäre man weniger abhängig vom Erdöl. Außerdem sei Plastikmüll bares Geld wert.

Es sei billiger, Kunststoffe zu recyceln, als sie neu herzustellen, schreiben die beiden Forscherinnen. Würde man allen anfallenden Plastikmüll weltweit recyceln, würde man demnach Energie sparen, die 556 Milliarden Litern Erdöl entspricht. Dieses Öl hätte einen Gegenwert von rund 176 Milliarden US-Dollar.

In Europa wurde 2014 laut der Zusammenstellung der EU-Kommission weniger als ein Drittel des Plastikmülls recycelt. Ein Problem ist, dass die Wiederaufbereitung von Kunststoffen gar nicht so einfach ist, wie Garcia und Robertson betonen. So müsse Plastik vor dem Recycling bislang unter hohem Kosten- und Zeitaufwand sortiert werden. Zudem sei für die Wiederaufbereitung viel Energie notwendig, die daraus entstehenden Polymere seien oft von niedriger Qualität.

Bislang werde fester Plastikmüll in der Hauptsache mechanisch recycelt, schreiben Garcia und Robertson. Die Abfälle werden gereinigt, geschreddert und geschmolzen. Oft unter Zugabe von frischem Plastik werden die Polymere dann neu geformt. Allerdings können aufgrund ihrer Beschaffenheit nur zwei Typen von Plastik in großen Mengen so aufbereitet werden, darunter Polyethylenterephthalate - kurz PET. Oft werde Plastik auch schlicht verbrannt, um Wärme zu gewinnen.

Daneben gibt es chemisches Recycling. Dabei werden Kunststoffe zu Gas, Kraftstoffen und Wachsen verarbeitet. Bislang ist dieses Verfahren aber wegen der hohen Energiekosten nicht besonders beliebt. Forscher arbeiten daran, die Technik effektiver zu machen.

Ein Problem beim Recycling ist, dass es mit den bestehenden Methoden bislang nur für Müll in Frage kommt, der zuvor nach Plastiksorten getrennt wurde. Würden verschiedene Sorten gemeinsam verschmolzen, mischten sie sich nicht richtig. Garcia und Robertson sehen eine Lösung in neuen Chemikalien, die auch eine Verarbeitung von unsortiertem Plastikmüll möglich machen soll.

Der Umgang mit vorhandenem Plastik ist das eine, die Vermeidung von Plastik das andere. Einige Staaten unternehmen beispielsweise den Versuch, den Verbrauch an Plastiktüten zu reduzieren. So teilte das Präsidialamt in Chile Ende Oktober mit, dass in 102 Küstenorten keine Plastikbeutel mehr ausgegeben werden dürfen. Die Chilenen verbrauchen laut Umweltministerium jedes Jahr rund 3,4 Milliarden Plastikbeutel, von denen ein großer Teil im Meer landet. 

Kenia bannt mit einem drakonischen Gesetz die Herstellung, Nutzung und Einfuhr von Plastiktüten. In dem ostafrikanischen Land drohen nach einem im August in Kraft getretenen Gesetz bei Verstößen Geldstrafen von bis zu 32.000 Euro oder bis zu vierjährige Haftstrafen. Dem UN-Umweltprogramm (UNEP) zufolge wurden in Kenia bisher pro Tag geschätzt rund 100 Millionen Plastiktüten allein von Supermärkten ausgegeben. 

Noch in den Kinderschuhen stecken Bestrebungen, bereits in der Umwelt befindlichen Müll wieder zu entfernen. Der niederländische Erfinder Boyan Slat will im Mai mit dem Einsammeln von Plastikmüll auf den Ozeanen beginnen. Er will kilometerlange, schwimmende Röhren im Meer auslegen, von denen eine Art Sieb ins Wasser hängt. Die Röhren sind so geplant, dass sich der Plastikmüll an einer bestimmten Stelle sammelt und dort aus dem Meer geholt werden kann. Seit 2013 hat Slat für sein «The Ocean Cleanup»-Projekt mehr als 31 Millionen Dollar durch viele Kleinspenden und von Sponsoren eingesammelt.

Auch die Vereinten Nationen haben das Problem erkannt. So stellte das UN-Umweltprogramm UNEP Anfang des Jahres ein neues Programm zur weltweiten Vermeidung von Plastikmüll vor. Ein Ziel der neuen Kampagne: Bis zum Jahr 2022 soll Mikroplastik aus Kosmetikprodukten verschwinden und der verschwenderische Einsatz von Einmalprodukten aus Plastik enden.