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Umweltschutz Sonnencreme schadet Korallenriffen

Hawaii verbietet bestimmte Produkte per Gesetz, deren Inhaltsstoffe schädlich für Meer und Lebewesen sind.

07.07.2018, 23:01

Honululu (dpa) l Auf einem Bauernmarkt in Honolulu verkauft Michael Koenigs selbst hergestellte Sonnencreme. „Wir müssen uns und unsere Familien vor der Sonne schützen – aber wir müssen auch unsere Meere und Korallenriffe schützen“, sagt der dreifache Familienvater. Seine in silbernen Tiegeln verpackte Paste ist deutlich teurer und dickflüssiger als handelsübliche Sonnencreme und zieht deutlich langsamer in die Haut ein – aber sie besteht dafür aus natürlichen Zutaten wie Kokosöl, Macadamianuss-Öl und Sheabutter.

„Wir müssen die Menschen aufklären“, sagt Koenigs, der mit seiner Frau und den Kindern wie die meisten Menschen in Hawaii viel Zeit am Strand und im Meer verbringt. „Die Chemikalien in den normalen Sonnencremes machen unsere Riffe kaputt.“ Mit dem Thema werden viele Hawaii-Besucher neuerdings schon bei der Anreise im Flugzeug konfrontiert: Jeder Passagier bekommt bei Hawaiian Airlines ein kleines Tütchen „Riff-sichere“ Sonnencreme. Auch in einigen Hotels wie dem „Surfjack“ nahe dem weltberühmten Waikiki-Strand hängen Spender mit Sonnencreme – ebenfalls angeblich „Riff-sicher“.

Jahrelang haben Sonnencreme-Hersteller Koenigs und viele Mitstreiter versucht, auf die Dringlichkeit des Problems aufmerksam zu machen – bis das Parlament sie schließlich erhörte: Als erster US-Bundesstaat verabschiedete Hawaii Anfang Mai ein Gesetz, das den Verkauf von Sonnencremes mit bestimmten Chemikalien darin verbietet, trotz des Widerstands mehrerer Sonnencreme-Hersteller. Am 1. Januar 2021 tritt es in Kraft.

„Das ist ein historisches Gesetz für unsere Meere“, sagt der demokratische Bundesstaats-Senator Mike Gabbard der Deutschen Presse-Agentur. „Ich hoffe, dass wir in 20 Jahren zurückschauen können und sehen, dass dies der Moment war, an dem wir der Verschmutzung den Kampf angesagt haben, und dass das Gesetz auf der ganzen Welt kopiert wurde.“ Zuvor gab es unter anderem in einigen Teilen Mexikos und an einigen Unesco-Weltnaturerbestätten ähnliche Verbote.

Das Problem sehen Wissenschaftler vor allem in zwei Inhaltsstoffen: Octinoxat und Oxybenzon, beide in Hawaii nun verboten. Sie werden in vielen Sonnencremes als UV-Filter benutzt, sollen die Ultraviolettstrahlung der Sonne davon abhalten, die Haut des Menschen zu schädigen. „Diese Chemikalien sind inzwischen überall in der Natur zu finden, von der Arktis bis hin zu abgelegenen Korallenriffen im Südpazifik. Man findet sie in Delfinen, Eiern von Wildvögeln, vielen Fischen, die wir essen, und in Korallen“, sagt Forscher Craig Downs vom Haereticus-Labor in Virginia.

Mögliche Folgen der Chemikalien im Meer können demnach zum Beispiel Korallenbleiche oder Schäden am Erbgut von Fischen oder Korallen sein. „Auch andere Chemikalien in Sonnencreme können Schäden verursachen, aber die Forschung ist noch ziemlich jung und es ist noch nicht viel veröffentlicht worden.“ Natürlich sind die Chemikalien in Sonnencremes nicht die einzige Gefahr für Meere und Korallenriffe – aber Experten hoffen, dass dieses Problem sich einfacher in den Griff bekommen lässt als beispielsweise der Klimawandel und die Verschmutzung durch Abwässer oder Plastikmüll.

Rund 14.000 Tonnen Sonnencreme landen Schätzungen zufolge jedes Jahr im Meer. Wo besonders viele Touristen sind – wie in Hawaii mit seinen rund neun Millionen Besuchern jährlich – ist der Schaden im Meer besonders deutlich. Alleine auf der Insel Maui landen nach Hochrechnungen jeden Tag rund 210 Liter Sonnencreme im Meer. Gleichzeitig sind die Korallenriffe rund um die Insel in den vergangenen Jahren deutlich geschrumpft, teilweise um mehr als die Hälfte.

„Meine Prognose ist, dass es bald keine lebenden Korallenriffe in Hawaii mehr geben wird, die Touristen besichtigen können“, sagt Forscher Downs. „Hawaii wird wie die Florida Keys ein netter Platz, um am Strand zu liegen, aber es wird seinen kostbarsten Bodenschatz und seine größte Touristenattraktion verloren haben.“

Auch in Deutschland sind UV-Filter aus Sonnencremes in Gewässern zu finden – zum Beispiel in der Ostsee, wie Messungen in Strandnähe 2015 ergeben haben. Es geht im Meerwasser um Konzentrationen im Nanogramm-Bereich, wie Kathrin Fisch vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde erläutert. „Ein Nanogramm pro Liter ist wie ein Salzkorn in einem Olympiaschwimmbecken.“

Auch das Umweltbundesamt (UBA) beschäftigt sich vorsorglich seit Jahren mit UV-Filtern. Hintergrund sind Erkenntnisse, dass einige der Stoffe hormonähnlich wirken, sich in der Umwelt und in Organismen anreichern und toxischen Stress auslösen können – mit unklaren Langzeitfolgen für Ökosysteme. „Die Konzentrationen an chemischen UV-Filtern, die in deutschen Gewässern gemessen werden, sind bisher noch so, dass kein Fisch akut lebensbedroht ist“, sagt UBA-Experte Jürgen Arning. Ein flächendeckendes Monitoring von Gewässern in Hinblick auf UV-Filter gebe es nicht.

3-Benzylidencampher ist ein Beispiel für einen UV-Filter, der in der EU aus Kosmetik verbannt wurde, weil durch die Hormon-Wirkung schädliche Folgen für Organismen in Gewässern angenommen werden. Zu den beiden auf Hawaii beanstandeten Substanzen gebe es noch keine endgültige Bewertung im Rahmen der europäischen Chemikalienverordnung, erklärt Arning. Für ihn ist der Fall Hawaii eine Ausnahme. „Es gibt eigentlich fast nie die Situation, dass man ein Umweltproblem klar auf eine bestimmte Chemikalie zurückführen kann. Es kommen mehrere Faktoren zusammen.“

Bleibt die Frage: Sonnencreme im Sommer – ja oder nein? Aus dermatologischer Sicht sei hierzulande zum Schutz vor UV-Licht zu raten, sagt der frühere Direktor der Hautklinik der RWTH Aachen, Hans Merk. Er betont aber auch, dass Sonnencreme hierzulande als Kosmetik eingestuft wird und damit für die Inhaltsstoffe laxere Regelungen gelten als etwa in den USA, wo die Cremes als Medikament klassifiziert werden.

Sonnencremes mit mineralischen Filtern sind Merk zufolge unter dem Aspekt möglicher Umweltschäden nicht unbedingt die bessere Wahl. Zink- und Titanoxid hätten sich in einer Studie auch als korallenschädlich erwiesen, die zugrundeliegenden Mechanismen seien noch nicht genau verstanden. Gerade für Schnorchler und Taucher sei deshalb UV-Schutz durch Textilien statt Cremes ratsam – weitere Empfehlungen seien bislang nicht möglich.