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Konzert-Unglück Loveparade-Prozess unter Zeitdruck

Wie konnte es zum Loveparade-Unglück kommen? Der Prozess wird einer der größten der Nachkriegszeit.

05.12.2017, 23:01

Duisburg (dpa) l Sie wollten feiern, Spaß haben – und starben einen grauenvollen Tod. 21 Menschen aus sechs Ländern ließen im Juli 2010 bei der Loveparade in Duisburg ihr Leben. Tragen dafür vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent und sechs der Stadt Duisburg die Schuld? Dies soll ab Freitag ein Strafprozess klären. Das Verfahren könnte einer der umfangreichsten Prozesse der Nachkriegszeit werden. Grund sind die vielen Beteiligten und eine fast unüberschaubare Menge an Beweismitteln und Zeugenaussagen.

Die Staatsanwaltschaft wirft den vier leitenden Mitarbeitern des Veranstalters vor, ein ungeeignetes Zu- und Abgangssystem geplant zu haben. Bei der Stadt Duisburg wird außerdem ein Dreier-Team des Bauamtes verantwortlich gemacht. Sie sollen die benötigte Baugenehmigung zu Unrecht erteilt haben. Drei weitere Angeklagte sind Vorgesetzte des Teams, darunter der damalige für Stadtentwicklung zuständige Beigeordnete. Alle zehn sind wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt.

Weil kein Saal des Landgerichts Duisburg groß genug ist, findet die Hauptverhandlung in einem Saal des Kongresszentrums Düsseldorf statt. Rund 500 Personen bietet er Platz. Mehr als 300 davon stehen für Zuhörer und Pressevertreter zur Verfügung. Die zehn Angeklagten werden von rund 30 Verteidigern vertreten. Außerdem gibt es rund 60 Nebenkläger.

Hinter den hohen Zahlen verbergen sich viele einzelne Schicksale: „Der Prozess wird für die Hinterbliebenen sowie für die Verletzten und Betroffenen ebenso wie für die Prozessbeteiligten eine enorme seelische Belastung sein“, sagt Jürgen Widera, Vorstand der Stiftung „Duisburg 24.7.2010“. Die Stiftung organisiert für jeden Verhandlungstag Notfallseelsorger, die Hinterbliebenen und Verletzten zur Verfügung stehen.

Der Weg zum Prozess war ein juristisches Tauziehen: Zunächst zogen sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Duisburg über dreieinhalb Jahre hin. 96 Polizisten vernahmen 3409 Zeugen und sichteten Videomaterial in einer Gesamtlänge von rund 1000 Stunden.

Mehr als zwei Jahre nach Anklageerhebung im April 2016 dann ein Paukenschlag: Eine Kammer des Landgerichts Duisburg ließ die Anklage nicht zu. Hauptgrund: Das für die Anklage zentrale Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still leide an gravierenden Mängeln. Die Staatsanwaltschaft und Nebenkläger legten mit Erfolg Beschwerde ein. Die 6. Große Strafkammer muss nun unter einem gewissen Zeitdruck verhandeln: Bis Ende Juli 2020 muss ein erstes Urteil vorliegen, sonst tritt die sogenannte absolute Verjährung ein.

Und was geschieht nun am ersten Verhandlungstag? „Üblicherweise werden am ersten Prozesstag die Anwesenheiten festgestellt, und die Anklageschrift wird verlesen“, sagt Gerichtssprecher Matthias Breidenstein. Zeugen seien überhaupt noch nicht geladen. Bis Ende 2018 hat das Gericht 111 Verhandlungstage angesetzt.