EZB Draghi legt nach

Die EZB flutet die Märkte mit Geld - doch die Mini-Inflation konnten die Währungshüter bislang nicht vertreiben. Die Notenbank legt nach.

Von Harald Schmidt und Jörn Bender 03.12.2015, 23:01

Frankfurt/Main (dpa) l EZB-Präsident Mario Draghi hat keine Zweifel gelassen, dass er zum Handeln entschlossen ist: „Wir werden alles Notwendige tun, um die Inflation so schnell wie möglich wieder zu erhöhen.“ Tatsächlich hat die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag weitere Maßnahmen beschlossen – auch gegen deutschen Widerstand.

1. Warum legt Draghi nach?

Trotz Nullzinsen, Strafzinsen, milliardenschwerer Kaufprogramme und einer Flut billiger Notkredite ist die Inflation im Euroraum meilenweit vom EZB-Ziel entfernt. Die Notenbank strebt mittelfristig eine Rate von knapp unter 2,0 Prozent an. Im November verharrte die Jahresteuerung gerade einmal bei 0,1 Prozent. Dauerhaft niedrige Preise könnten Firmen und Verbraucher verleiten, Investitionen aufzuschieben – in der Hoffnung auf weiter sinkende Preise. Das könnte die Konjunktur ausbremsen. Das viele billige Geld soll die Inflation wieder in Richtung der Zwei-Prozent-Marke treiben.

2. Was hat die EZB beschlossen?

Einerseits verlängert die Notenbank ihren milliardenschweren Kauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren um ein halbes Jahr. Die Notenbank will nun bis mindestens Ende März 2017 monatlich 60 Milliarden Euro in den Markt pumpen, also insgesamt 1,5 Billionen statt bisher 1,1 Billionen Euro. Notfalls könne das Programm auch danach weiterlaufen, sollte die derzeit extrem niedrige Inflation sich bis dahin nicht in Richtung des EZB-Ziels von knapp unter 2,0 Prozent bewegt haben, sagte Draghi. Schon seit März pumpt die EZB auf diesem Weg monatlich 60 Milliarden Euro in den Markt. Anders als erwartet hat die EZB das monatliche Volumen aber nicht erhöht.

3. Was hat die Notenbank noch entschieden?

Die EZB brummt Banken höhere Strafzinsen für Geld auf, das diese über Nacht bei der Notenbank parken. Der Einlagenzins wird von minus 0,2 Prozent auf minus 0,3 Prozent gesenkt. Das soll Geschäftsbanken dazu bewegen, mehr Kredite zu vergeben, statt überschüssige Liquidität bei der EZB zu bunkern. So die Theorie.

4. Bringen die Maßnahmen der EZB etwas?

Gerade in Deutschland ist die ultra-lockere Geldpolitik umstritten, es gibt massive Zweifel an der Wirksamkeit weiterer Maßnahmen. So hält Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn die Ausweitung der Anleihekäufen für unnötig: „Noch mehr zu tun, ist angesichts der starken, bislang schon sichtbaren Effekte übertrieben. Es stärkt den Verdacht, dass es der EZB statt um Preisstabilität um die Rettung maroder Staaten und Banken geht.“ Und die Senkung des Einlagenzinses ist aus Sicht von DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben ohnehin nicht geeignet, die Kreditvergabe an die Wirtschaft zu stärken: „Banken haben schon von Haus aus ein Interesse daran, gute Projekte auch zu finanzieren. Zusätzliche Kosten durch Negativzinsen sind kontraproduktiv.“ Vielmehr drohten höhere Kreditzinsen für Bankkunden, warnt DZ-Bank-Analyst Christian Reicherter mit Blick auf Erfahrungen aus der Schweiz: Dort geben Banken diese Zusatzkosten über höhere Hypothekenzinsen an Kunden weiter.

5. Ist die Geldflut am Ende sogar ein Risiko?

Die Bundesbank warnt vor Risiken für die Finanzstabilität infolge der Geldflut: „Je länger niedrige Zinsen andauern, umso mehr bestehen für die Marktteilnehmer Anreize, erhöhte Risiken einzugehen.“ Helaba-Chefvolkswirtin Gertrud Traud ist überzeugt: „Die Kosten dieser Geldpolitik sind weitaus größer als der vermeintliche Nutzen.“ Statt in Kredite fließe das billige Geld zum Großteil in Aktien und Immobilien: „Natürlich führt das zu Preisblasen.“

6. Stehen Europas Währungshüter geschlossen hinter Draghis Kurs?

Widerstand kommt vor allem aus Deutschland. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann fürchtet, dass Regierungen sich an niedrige Zinsen gewöhnen und Reformen verschleppen könnten: „Je länger die extrem lockere Geldpolitik andauert, umso weniger wirkt sie und umso mehr Risiken und Nebenwirkungen kommen ins Spiel.“ Sabine Lautenschläger, ehemals Bundesbank-Vize und nun im EZB-Direktorium, sagt, das billige Geld kaufe Zeit, behebe aber nicht die Ursachen. Wie bei Arzneimitteln könne „überzogene Anwendung ... dazu führen, dass der Patient sich gesund fühlt und nicht mehr an den Ursachen der Krankheit arbeitet“.

7. Was heißt das eigentlich alles für die Verbraucher?

Das Zinsniveau im Euroraum bleibt absehbar extrem niedrig. Das ist schlecht für Sparer, die in Deutschland traditionell vor allem auf Tagesgeld, Festgeld und Sparbuch setzen. Auf der anderen Seite sind Baukredite historisch günstig, auch wenn die Hypothekenzinsen im Frühjahr sogar noch günstiger waren als derzeit.

Die EZB-Geldflut hat auch noch einen anderen Effekt: Der Euro verliert gegenüber dem Dollar an Wert. Das bekommen alle zu spüren, die in die USA reisen. Auch Urlaube in der Schweiz oder Reisen in Nicht-Euroländer wie Großbritannien werden tendenziell teurer. Meinung