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Hähnchenmast Neue Technik gegen den Tod

Wie lässt sich die Massen-Tötung männlicher Küken verhindern? Darüber sprach Jens Schmidt mit Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns.

20.01.2016, 23:01

Magdeburg l Die Legehennen-Industrie hat für Hähne keine Verwendung. Auch nicht als Brathähnchen. Denn die aufs Eierlegen getrimmten Rassen haben zu wenig Fleisch. Die Folge: Jährlich werden allein in Deutschland 40 Millionen männliche Küken gleich nach dem Schlüpfen getötet. Sie werden geschreddert oder vergast. Die grausame Methode stößt auf immer mehr Ablehnung. Tierschützer fordern ein Verbot dieser Praxis, die Bundesregierung setzt auf eine wissenschaftliche Lösung des Problems.

Forschern an den Universitäten in Leipzig und Dresden ist es gelungen, das Geschlecht des Hühnerembryos bereits im befruchteten Ei zu bestimmen. Hähnchen würden dann gar nicht mehr ausgebrütet. Die Koordinatorin des Forscher-Teams ist Professor Dr. Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns, Direktorin der Klinik für Vögel und Reptilien.

Volksstimme: Frau Professor, wie läuft so eine Geschlechtsbestimmung ab?

Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns: Wir bestimmen das Geschlecht am dritten Tag nach der Befruchtung. Das wäre zwar auch schon am ersten Tag machbar, aber dabei stirbt eine zu hohe Anzahl der Embryonen. Daher muss das Ei erst drei Tage bebrütet werden. Dann wird ein etwa acht bis zehn Millimeter kleines Loch in die Kalkschale „gestanzt“. Das ist notwendig, da wir ansonsten mit unseren spektroskopischen Verfahren nicht vordringen können. Wir leuchten dann sozusagen mit Hilfe eines bestimmten Infrarotlichts in das Ei hinein.

Ein Loch wird gestanzt?

Ja, dazu nutzen wir einen bestimmten Laser. Das ist ein hochkompliziertes Verfahren: Da die Schalen unterschiedlich dick sind, muss das Gerät bei jedem Ei genau erkennen, wie dick die Schale ist, damit der Laserstrahl wirklich nur die Schale aufschneidet. Der Laser darf nicht das darunterliegende Eihäutchen zerstören, weil ansonsten der Embryo geschädigt würde. Mit Hilfe des Lasers bekommen wir eine Art Sollbruchstelle. Das heißt, dieser kleine, angestanzte Schalendeckel muss noch herausgehebelt werden. Das geschieht derzeit noch mechanisch per Hand. Künftig soll das automatisch funktionieren.

Wie finden Sie heraus, ob da eine Henne oder ein Hahn heranwächst?

Wir sehen Gefäße um einen kleinen Punkt, aus dem sich später das Küken entwickelt. Diese Gefäße bestrahlen wir mit einem bestimmten Infrarotlicht – wir sprechen von einer spektroskopischen Untersuchung. So können wir Unterschiede im Erbgut erkennen.

Und worin besteht der kleine Unterschied?

Weibchen haben ein ZW-Geschlechts-Chromosom, Männchen ein ZZ-Chromosom. Das weibliche Chromosom ist wesentlich kleiner als das männliche. Diese Unterschiede können wir in Sekundenschnelle und mit hoher Genauigkeit messen.

Kann der Embryo durch die Bestrahlung nicht geschädigt werden?

Wir nutzen ein Nah-Infrarot-Spektroskop, das eine sehr energiearme Strahlung besitzt, so dass der Embryo nach unseren bisherigen Erfahrungen nicht geschädigt wird. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir die Gefäße dabei nicht berühren.

Was passiert nach der Geschlechtsbestimmung?

Wenn wir das Ergebnis haben, werden die Eier mit männlichen Embryonen aussortiert und nicht weiter bebrütet. Das ist ungefähr jedes zweite Ei. Bei der anderen Hälfte der Eier wird das kleine Loch mit einem speziellen Klebeband maschinell wieder verschlossen. Diese Eier kommen in die Brutschränke. Und 18 Tage später schlüpfen allein die weiblichen Küken.

Was passiert mit den Eiern, die aussortiert werden?

Aus diesen Eiern könnte zum Beispiel wertvolles, proteinhaltiges Futter gewonnen werden – etwa für die Fischindustrie.Für die Zuchtbetriebe hätte das Verfahren den Vorteil, dass sie eine Menge Brutkapazität sparen, da ja etwa die Hälfte der Eier mit den männlichen Tieren aussortiert würde. Außerdem würde unsere Technik helfen, schon am dritten Tag unbefruchtete Eier zu erkennen, so dass diese gar nicht erst wieder in die Brutschränke kommen. Und die Industrie würde Personal sparen, das jetzt am geschlüpften Küken das Geschlecht bestimmt: die so genannten Sexer. Wahrlich kein Traumberuf.

Aber so eine Apparatur ist sicherlich nicht ganz billig.

Auf die Menge der Eier gesehen, dürfte sich das aber im Rahmen halten. Wir haben Brütereien, die 100.000 Tiere am Tag ausbrüten. Es gibt eine erste Kalkulation, die die Mehrkosten auf 1 bis 2 Cent pro Ei schätzt.

Wie lange wird es dauern, ehe ein industrietaugliches Gerät auf dem Markt ist?

Wir arbeiten seit Juli 2015 gemeinsam mit der Firma Evonta in Dresden, unseren hiesigen Physikern und der TU Dresden daran. Wir rechnen damit, dass wir etwa zwei Jahre brauchen.

Warum dauert das so lange?

Nun – wir haben es mit Lebewesen zu tun, und da ist eine sehr hohe Präzision gefragt. Ich sprach schon über die Schalen, die bei jedem Ei unterschiedlich dick sind. Wir müssen auch beachten, dass die Eier je nach Hühnerrasse einen unterschiedlichen Entwicklungsstand nach drei Bruttagen aufweisen. Zudem liegen die Gefäße unterschiedlich. Die Natur hat nichts genormt. Bisher – im Labor – haben wir das alles manuell gemacht: Wir haben geschaut, wo die Gefäße im Ei liegen, und dann das Messgerät darauf ausgerichtet. Künftig muss das aber automatisiert funktionieren. Zudem müssen wir darauf achten, dass die Schlupfrate nicht sinkt. Das kann zum Beispiel passieren, wenn nach dem Öffnen der Kalkschale bis zum Messen zu viel Zeit vergeht und das Ei zu stark abkühlt.

Lagen Sie bei der Geschlechtsbestimmung auch schon mal daneben?

Die Messungen der Kollegen an der TU Dresden liegen derzeit in knapp 95 Prozent der Fälle richtig. Aber auch das wollen wir noch verbessern.