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Interview Felgner fordert Ende des Russland-Embargos

Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister im Volksstimme-Interview über Exporte, Fricopan und Fördermittel.

13.05.2016, 23:01

Damit die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt wieder wächst, will Wirtschaftsminister Jörg Felgner (SPD) den Handel mit Russland beleben. Im Volksstimme-Interview kündigt der SPD-Politiker zudem an, nach dem geplanten Aus für das Fricopan-Werk die Fördermittelpolitik des Landes zu überprüfen.

Volksstimme: Herr Felgner, Sie sind seit etwas mehr als zwei Wochen im Amt, hätten Sie sich mit Blick auf die geplante Standortschließung von Fricopan in der Altmark einen ruhigeren Beginn gewünscht?

Jörg Felgner: Das war wirklich ein turbulenter Start. Aber auf der anderen Seite habe ich viele Kollegen im Ministerium kennen und schätzen gelernt. Jetzt kann ich mit ihnen loslegen und versuchen, für die rund 500 Fricopan-Mitarbeiter das Bestmögliche herauszuholen.

Was können Sie für die Mitarbeiter tun?

Ich habe mit dem Europa-Chef des Aryzta-Konzerns, dem das Fricopan-Werk gehört, bereits mehrfach gesprochen und dafür geworben, eine Transfergesellschaft zu gründen. Und ich bin vor Ort gewesen und habe den Beschäftigten den Rücken gestärkt. Ich halte die Lage nicht für hoffnungslos. Das zuständige Job-Center hat mir bereits signalisiert, dass viele Mitarbeiter gute Chancen haben, woanders unterzukommen.

Wie sehen Sie die Chancen, einen Investor zu finden, der das Werk übernimmt?

Wir sind bei der Suche nach einem Investor nicht auf eine bestimmte Branche festgelegt. Das ist ein Vorteil. Ich bin optimistisch, dass wir gemeinsam mit dem Aryzta-Konzern einen Interessenten finden. Das Werk darf nicht zu einer Industrie-brache verfallen.

In das Fricopan-Werk in Klötze sind in der Vergangenheit rund 13 Millionen Euro Fördermittel geflossen. Der Aryzta-Konzern hat nun die erste Möglichkeit genutzt, nach Ablauf der Bindefrist das Werk zu schließen. Sollte das Land seine Förderpolitik überdenken?

Ja. Wir werden im Landtag diskutieren, wie Fördermittelvergaben künftig stattfinden sollten. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sind das Rückgrat unserer Wirtschaft. Diese sollten noch stärker unterstützt werden, weil dort Arbeitsplätze geschaffen und gesichert werden und diese Unternehmen ihren Standort nicht verlagern.

Gewerkschaften haben gefordert, dass Fördermittel und öffentliche Aufträge künftig nur an Unternehmen vergeben werden, die Mitarbeiter vernünftig beschäftigen und auf Niedriglöhne, Werkverträge und Leiharbeit verzichten. Wie stehen Sie dazu?

Als Sozialdemokrat liegt es mir am Herzen, dass wir als Land Unternehmen fördern, für die gut bezahlte Arbeit kein Fremdwort ist. Das gilt ebenso für öffentliche Aufträge. Es mag an der Stelle zwar noch mit Arbeitgebern und Verbänden zu Diskussionen kommen, aber ganz ehrlich: Fachkräfte sind schon heute in vielen Bereichen kaum noch vorhanden. Unternehmen müssen investieren, um gute Leute zu bekommen und zu halten.

Die Investitionsfreudigkeit von Firmen in Sachsen-Anhalt ist allerdings seit Jahren rückläufig. Viele Fördermittel wurden überhaupt nicht abgerufen. Wie wollen Sie das lösen?

Wir werden prüfen, ob wir die Bedingungen zur Ausgabe der Fördermittel aus dem Topf der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) weiter lockern können. Gedacht war diese Förderung, um der ostdeutschen Wirtschaft auf das westdeutsche Niveau zu helfen. Das haben wir immer noch nicht erreicht. Deshalb braucht die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt weiterhin die Unterstützung durch Fördermittel.

Die Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung in Sachsen-Anhalt stagnieren seit Jahren. Das Bruttoinlandsprodukt wächst nicht, die Zahl der Firmengründungen geht sogar zurück. Wo wollen Sie zuerst ansetzen?

In den ersten Wochen meiner Amtszeit habe ich mit vielen Entscheidern in Unternehmen und Verbänden sprechen können. Für mich ist sehr klar, dass Sachsen-Anhalts Wirtschaft noch immer stark unter den Russland-Sanktionen leidet. Noch im Jahr 2012 hatten wir Exporte in Höhe von etwa 500 Millionen Euro nach Russland. Im vergangenen Jahr waren es dagegen gerade noch Ausfuhren im Wert von rund 300 Millionen Euro.

Dieser Rückgang wirkt sich direkt auf das Wirtschaftswachstum aus. Ich werde mich deshalb dafür einsetzen, die Handelsbedingungen mit Russland möglichst schnell wieder zu normalisieren. Und deshalb sage ich, dass das Embargo gegen Russland beendet werden muss. Das ist wichtig, damit es in Sachsen-Anhalt weiter aufwärts geht.

Damit stellen Sie sich gegen den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die bekräftigt hat, die Sanktionen erst lockern zu wollen, wenn Russland das Völkerrecht wieder achtet.

Die Geschichte Kubas hat gezeigt, dass Wirtschaftssanktionen in der Regel nicht viel bewirken. Insofern hoffe ich, dass ich eine politische Allianz vor allem in Ostdeutschland bilden kann, die sich für ein Ende der Sanktionen einsetzt. Außerdem halte ich es für notwendig, die Beziehungen zu Russland auszubauen und ein Kontaktbüro in Moskau zu eröffnen.

Neben dem Ausbau der internationalen Beziehungen ist Digitalisierung das große Thema. Wie wollen Sie den Firmen in Sachsen-Anhalt auf dem Weg zur Industrie 4.0 helfen?

Die Firmen brauchen schnelles Internet. Das heißt, wir müssen die Infrastruktur dafür weiter ausbauen. Außerdem brauchen die Unternehmen viel mehr Beratung. Denn nur etwa ein Drittel aller Unternehmer haben eine Digitalisierungsstrategie. Wir müssen also einiges tun. Ich möchte deshalb ein vom Bund gefördertes 4.0-Kompetenzzentrum nach Sachsen-Anhalt holen.

Die SPD hat im Wahlkampf gefordert, die Investitions- und Beteiligungs-Gesellschaft (IBG) des Landes abzuschaffen, nachdem dort viele Millionen wohl in falsche Kanäle geflossen sind. Gerade für junge Gründer ist die Anschubfinanzierung der IBG bisher aber sehr wichtig gewesen, um den Start von Unternehmen zu ermöglichen. Was passiert mit der Gesellschaft?

Ihr Wagniskapital ist notwendig. Mir ist es wichtig, die Aufgabe und Ausgestaltung der IBG im Landtag zu besprechen. Wir werden eine Vorlage erarbeiten und auf den Tisch legen.

Als Minister sind Sie nicht nur für die Wirtschaft zuständig, sondern auch für die Wissenschaft. Wie wollen Sie mit dieser Doppel-Rolle umgehen?

Wir starten im Ministerium den zweiten Anlauf, nachzuweisen, dass es sehr gut ist, Wirtschaft und Wissenschaft unter einem Dach zu vereinen. Wenn Unternehmen und Hochschulen stärker kooperieren, können wir unseren Fachkräftebedarf besser absichern und so die Voraussetzung für neue Innovationen schaffen. Denn gerade kleine Firmen können sich eigene Forschungsabteilungen kaum leisten und sind auf die Hilfe der Hochschulen und Forschungsinstitute angewiesen.

Die Hochschulen und Universitäten in Sachsen-Anhalt ziehen viele Studenten an. Wie wollen Sie künftig verhindern, dass gut ausgebildete, junge Menschen nach ihrem Abschluss das Weite suchen?

Das ist eine Aufgabe, die wir alle zusammen angehen müssen. Wir müssen verstärkt darauf hinweisen, wie lebenswert Sachsen-Anhalt ist und welche Vorteile es gibt, hier zu leben. Wir haben eine gut ausgebaute Infrastruktur. Die Startbedingungen für junge Familien sind sehr gut. Baugrundstücke sind günstig, Mietwohnungen bezahlbar. Ich selbst habe in Magdeburg eine Mietwohnung. Von der Miete könnte ich in München vielleicht eine Ein-Zimmer-Wohnung bezahlen.

Das Wichtigste ist aber, dass wir den jungen Leuten eine gute berufliche Perspektive bieten können. Deshalb werden wir noch stärker die Fokus auf die Förderung von Forschung und Entwicklung richten.

Braucht Sachsen-Anhalt ein neues Selbstbewusstsein?

Ja. Sachsen-Anhalt hat Aufholbedarf. Die Sachsen sehen sich viel positiver. Dort herrscht ein ganz anderes Selbstverständnis. Das wünsche ich mir für Sachsen-Anhalt auch. Unser Land entwickelt sich gut. Es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.

Warum sehen Sachsen-Anhalter ihr Land schlechter als es eigentlich ist?

Wir sind ein Bindestrich-Land. Das ist für mich der Hauptpunkt. Es gibt hier verschiedene Mentalitäten. Zwischen Arendsee und Zeitz gibt es Unterschiede. Wir wollen auch nichts vereinheitlichen. Jede Region sollte stark und selbstbewusst auftreten. Teilweise funktioniert das schon. Aber das muss weiter gestärkt werden.

Was halten Sie davon, eine gemeinsame Region Mitteldeutschland aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu gründen?

Der Endpunkt einer Entwicklung ist die Gründung einer solchen Region. Ich halte zunächst sehr viel davon verstärkt und enger zusammenzuarbeiten. Die Wirtschaftsressorts in allen drei Bundesländern sind jetzt in SPD-Hand. Da wird es zwangsläufig zu Absprachen und Kooperationen kommen. Das wird der Region nutzen. Für die internationale Wahrnehmbarkeit kann eine Region Mitteldeutschland wichtig sein. Eine Neu-Gliederung der Länder kann irgendwann auch sinnvoll sein. Das wird aber noch dauern.

Als Minister haben Sie mehr als 200 Mitarbeiter unter sich. Für welche Art Führungsstil stehen Sie?

Ich bin ein kooperativer Mensch, der ruhig agiert und auf die Leute zugeht. Das möchte ich zusammen mit meinen beiden Staatssekretären auch im Haus praktizieren. Wir sind auf die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen angewiesen. Denn ohne ihre gute Arbeit werden wir nichts erreichen.