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Leuna Total sucht Weg aus der Öl-Krise

Die Total Raffinerie Mitteldeutschland in Leuna wird künftig verstärkt als Grundstoff-Lieferant für die Chemieindustrie arbeiten.

26.05.2016, 23:01

Leuna l Ein unscheinbares Rohr im südlichen Teil des Geländes der Total Raffinerie Mitteldeutschland ist die Quelle des Reichtums. Über die Druschba-Pipeline wird schon seit 1963 Erdöl aus Russland nach Leuna gefördert. In der Raffinerie entstehen daraus vor allem Diesel, Benzin und leichte Heizöle. Stündlich werden in den Anlagen rund eine Million Liter Diesel und Benzin hergestellt. Rund 1300 Tankstellen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen werden mit den Kraftstoffen beliefert. Das Geschäft ist noch immer einträglich. Doch der Absatz wird in den kommenden Jahrzehnten sinken.

Durch sparsame Motoren verbrauchen Autos immer weniger Benzin. Die Zukunft des Diesel-Kraftstoffs wird angesichts der Abgas-Affäre bei Volkswagen von einigen Experten sogar gänzlich in Frage gestellt. Sollten künftig vermehrt Elektro-Autos über deutsche Straße rollen, dürfte weit weniger Kraftstoff nachgefragt werden als bisher. „Der Konzern“, sagt Willi Frantz, der seit Sommer des vergangenen Jahres Geschäftsführer der Total Raffinerie Mitteldeutschland ist, „versteht es, die Zeichen der Zeit zu deuten.“ Für den 49-Jährigen bedeutet das, Märkte abseits des Kraftstoffverkaufs zu erschließen. Die Raffinerie ist schon heute in den Stoffverbund des mitteldeutschen Chemiedreiecks eingebunden. Für den Chemiestandort Leuna, der in dieser Woche sein 100-jähriges Bestehen feiert, ist die Raffinerie der zentrale Anker. Rund 1,5 Millionen Tonnen Vorprodukte für die chemische Industrie verlassen jedes Jahr die Anlagen. Total liefert unter anderem Naphtha an den Dow-Konzern oder Synthesegas an Linde. Bei elf Millionen Tonnen liegt die Gesamtproduktion der Raffinerie, so Frantz. Den Chemie-Anteil will er weiter ausbauen.

Bereits in diesem Jahr wird mit dem Bau einer Anlage begonnen, die Benzol anreichert. Das Zwischenprodukt fällt bei der Herstellung von Benzin an. Über eine Pipeline sollen ab dem kommenden Jahr rund 70 000 Tonnen des Rohstoffs an das benachbarte Unternehmen Domo geliefert werden. Mit Benzol produziert Domo den Kunststoff Polyamid-6, der zur Herstellung von Verpackungsfolien für Lebensmittel oder Arzneien benötigt wird. Beide Partner haben einen langfristigen Vertrag geschlossen und lassen sich das Projekt rund 60 Millionen Euro kosten. Für Raffinerie-Chef Willi Frantz ist die Investition ein wichtiges Zeichen, das von der Total-Zentrale in Paris ausgeht. „Der Konzern glaubt an den Standort“, sagt Frantz.

Dabei befindet sich Total in einer Phase des Umbruchs: In den vergangenen Jahren hat der milliardenschwere Konzern in ganz Europa Raffinerien geschlossen, um Kapazitäten vom Markt zu nehmen. Denn infolge der Überproduktion und des gesunkenen Ölpreises kämpft Total seit Jahren mit sinkenden Margen. Die Franzosen wollen zudem ihre Abhängigkeit vom schwankungsanfälligen Öl-Geschäft reduzieren. Erst im Mai gab Total die Übernahme des französischen Batterieherstellers Saft bekannt – und bereitet sich damit auf eine Zukunft mit mehr Elektromobilität und erneuerbaren Energien vor. Bereits 2011 kaufte Total eine Mehrheitsbeteiligung an SunPower, einem der größten Solarzellenhersteller in den USA. In Marseille wird derzeit eine Raffinerie zur Bio-Diesel-Produktion umgerüstet.

Innerhalb des Total-Konzerns ist der Standort Leuna die jüngste Raffinerie. 1997 sind die Anlagen in Betrieb genommen worden. Sie zählen noch immer zu den modernsten in Europa. Wegen Verlusten, die Total mit der Erdöl-Förderung einfährt, sinkt seit Jahren das Ergebnis des Konzerns: Wurde 2011 noch ein Gewinn von 17,8 Milliarden US-Dollar erzielt, ging der Überschuss im vergangenen Jahr auf 4,8 Milliarden US-Dollar zurück. Die guten Zahlen aus Sachsen-Anhalt tragen seit Jahren dazu bei, das Konzern-Ergebnis erträglicher erscheinen zu lassen.

Die Pariser Zentrale ist deswegen bereit, erneut den Geldbeutel für Leuna zu öffnen, so Willi Frantz. „Die Total Raffinerie Mitteldeutschland kann auch weiter mit Investitionen rechnen – trotz der Schwierigkeiten im europäischen Markt“, so Frantz. Für 2020 steht der Bau einer weiteren Großanlage zur Produktion von chemischen Grundstoffen im Investitionsplan. Einen dreistelligen Millionenbetrag würde der Konzern zur Verfügung stellen.