1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Verzicht fürs Glücklichsein

Starke Frauen Verzicht fürs Glücklichsein

Die Volksstimme stellt Frauen vor, die wirtschaftlich erfolgreich sind: Anja Walter ist Besitzerin des Beldorfer Blumencafés "Allerliebst".

Von Elisa Sowieja 02.02.2017, 00:01

Belsdorf l Die Muffins und den Coffee to go hat Anja Walter schnell von der Karte gestrichen. Zu hip fürs Dorf. Hier wollen sich die Leute in Ruhe hinsetzen und ihre Gabel in einem klassischen Stück Kuchen versenken. Ein Exot ist ihr Laden trotzdem noch: In einem 300-Einwohner-Örtchen in der Börde hat sie vor zwei Jahren eine Kombination aus Blumengeschäft und Café eröffnet – mit Birkenstämmen als Deko, mit Regalen, in denen neben Übertöpfen auch Hundespielzeug steht und mit der Szene-Brause Fritz auf der Getränketafel. Ein Hauch von Großstadtflair in Belsdorf. Walter hat ja auch zuvor 20 Jahre lang in Köln gelebt. Und ging schon dort einen mutigen Weg.
Nach dem Abitur in Wanzleben hatte es sie weg aus der Heimat gezogen. „Ich war neugierig“, erklärt die heute 39-Jährige mit ihrem Strahlen, bei dem man automatisch immer ein bisschen mitlächelt. Als sie in Köln landete, gab es nur ein Problem: Sie hatte keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Von ihrem ersten Versuch – ein Studium in Literaturwissenschaft – war Walter schnell ernüchtert. Also jobbte sie erstmal Vollzeit im Call Center.
Als später die Bezahlung schlechter wurde, trug sie zusätzlich Zeitungen aus. Beide Jobs zusammen brachten zwar um die 1500 Euro netto. Doch inzwischen war sie Mitte 20. „Es war schlimm für mich, so lange auf der Suche zu sein. Und ich hatte Angst, etwas zu machen, bei dem ich nach 20 Jahren denke: Womit hast du deine Zeit vergeudet?“
Bei einer Zeitungstour stand sie dann aber plötzlich vor ihrer Karriereidee: einem Blumenladen. Das Schaufenster mit der angeleuchteten Fledermauslilie faszinierte sie. „Es klingt sicher kitschig, aber der Anblick hat mich glücklich gemacht.“ Ihre Wohnung stand ohnehin voller Pflanzen, und etwas mit Kundenkontakt hatte sie auch gesucht. Also begann Anja Walter mit 27 Jahren eine Ausbildung zur Floristin. Nettogehalt: 320 Euro. Sie verkaufte ihr Auto, zog in eine billigere Wohnung – und räumte fortan vor Dienstbeginn Konservenregale im Supermarkt ein. „Das war schon heftig. Aber ich wusste, ich musste das schaffen.“
Drei Jahre nach Ausbildungsende eröffnete Walter ihren ersten Laden. Dafür holte sie ihren Freund mit ins Boot – Kaffeeliebhaber und auch so ein Idealist, denn er gab seinen gut bezahlten Job als Computerfachmann auf. Die beiden setzten eine Espressobar mit Stehplätzen ins Geschäft, Coffee to go geht in einer Metropole schließlich immer. Weil sie viel selbst zimmerten, kamen sie mit einem Startkapital von rund 5000 Euro aus.
Bei einem Heimaturlaub 2013 entstand dann die Idee, mit dem Geschäft in die Börde zu gehen. Köln hatte für die Unternehmerin den Reiz verloren. „Für die Kulturangebote hatten wir ohnehin kaum Zeit. Außerdem war unser Stadtteil sehr dörflich – aber nicht so schön wie die Börde. Da kann man auch wieder zurückgehen.“ Abgesehen davon zog es sie zu ihren Eltern. Die waren es auch, die den beiden halfen, in Belsdorf Fuß zu fassen – nicht nur finanziell. Gemeinsam bauten sie die alte Windmühlenwerkstatt, in der einst Anja Walters Opa werkelte, zum Geschäft um. Nebenan, wo früher die Oma wohnte, zog das Paar ein.
Die Blumen-Kaffee-Kombi kommt im Dorf offenbar an. Im Schnitt 30 Kunden, sagt die Rückkehrerin, schauen am Tag vorbei, etwa gleich verteilt auf beide Ladenbereiche. Und, darüber ist sie besonders froh, viele Blumenkäufer sind offen für Sträuße jenseits von Klassikern wie Nelken mit Schleierkraut.
Unterm Strich, erklärt die Floristin, verdient sie zwar immer noch weniger als wenn sie Angestellte in Köln wäre. Für sie ist das aber in Ordnung. Und das liegt nicht nur daran, dass die teure Großstadtmiete wegfällt. „Die Arbeit hier macht mir so viel Spaß, dass ich mich nicht davon erholen muss.“
Mehr starke Frauen gibt es hier.