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Ausbildung Nach einer Woche wieder weg

Handwerksbetrieben in Sachsen-Anhalt fällt es immer schwerer, Lehrlinge auszubilden.

30.12.2016, 23:01

Magdeburg l Wenn Ronald Einbeck durch seine Werkshalle in Magdeburg geht, dann blickt er in viele junge Gesichter. Zehn seiner 14 festangestellten Mitarbeiter hat er in den vergangenen Jahren selbst ausgebildet, im Dezember ist seine Firma, die Einbeck Elektromotoren GmbH, bereits zum zweiten Mal zum „vorbildlichen Ausbildungsbetrieb“ gekürt worden. Dennoch haben die zwei Auszubildenden, die Einbeck im Herbst eingestellt hat, schon nach kurzer Zeit „das Handtuch geworfen“.

Allein ist der 59-jährige Firmenchef mit diesem Schicksal nicht: 33,5 Prozent der Ausbildungsverträge in Sachsen-Anhalt wurden nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit in Halle zuletzt wieder gelöst. Bundesweit weist das Land damit die höchste Abbrecherquote auf, denn die gesamtdeutsche Quote liegt lediglich bei 24,6 Prozent.

„Ein Azubi aus Gommern hat gleich nach einer Woche abgebrochen“, erzählt Einbeck. Er vermutet, dass der 16-Jährige mit den Arbeitszeiten nicht zurecht kam. „Wir fangen in der Frühschicht um sechs Uhr morgens an, der Anfahrtsweg war dem Jungen wohl dann doch zu weit, er hätte etwa um vier aufstehen müssen.“ Der zweite Auszubildende sei an einem Freitag einfach nicht mehr gekommen. „Ich habe später die Mutter angerufen und erst von ihr dann erfahren, dass der Junge sich angeblich für etwas anderes entschieden hätte“, so Einbeck.

Aus Sicht des Firmenchefs tauchen zwei Probleme bei den Bewerbern für eine Lehre immer wieder auf: Mangelnde Motivation und Qualifikation. „Immer häufiger landen auf meinem Schreibtisch Zeugnisse, die mit Dreien und Vieren gespickt sind – berauschend ist das nicht.“ Selbst wenn er den Bewerbern dann eine Chance gibt, würden viele diese nur sehr lustlos annehmen. „Schon seit Jahren wird ja über Reformen im Bildungssystem diskutiert – doch wirklich passiert ist offenbar nichts“, ärgert sich Einbeck.

Dass eine Ursache für hohe Abbruchquoten in mangelnder Qualifikation besteht, belegen auch Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Bei Hauptschülern liegt die Abbruchquote im Schnitt bei 48,2 Prozent, bei Lehrlingen mit Fachhochschul- oder Hochschulreife dagegen nur bei 18,3 Prozent.

Hinzu kommt, dass sich deutlich weniger junge Leute überhaupt für Ausbildungen bewerben. 2004 waren es noch knapp 20 000, mittlerweile streben nur noch etwas mehr als 10 000 eine Ausbildung an.

Im Kampf gegen die Misere setzt die Bundesagentur verstärkt auf Berufsberatung, sie ist etwa in Magdeburger Berufsschulen aktiv. Auch bietet sie die Möglichkeit einer „Assistierten Ausbildung“ an, im Rahmen derer sich unter anderem Sozialpädagogen um schwächere Lehrlinge kümmern. Die Handwerkskammer Magdeburg schickt einen Bus durchs Land, in dem sich Betriebe vorstellen und für Nachwuchs werben können. Und nicht zuletzt gibt es seit Jahren schon Lehrstellenbörsen. Doch so richtig fruchten die Bemühungen bislang nicht.

Ab und zu besucht Ronald Einbeck selbst Schulen, um ein wenig Aufklärungsarbeit zu leisten. „Dass Maurer, Bäcker und Schuster Handwerksberufe sind, wissen viele Schüler heutzutage gar nicht mehr“, erzählt er. Viele würden sich bis zum Ende ihrer Schulzeit mit allem Möglichen beschäftigen, aber nicht mit der Frage, welchen Beruf sie einmal erlernen könnten.

Ein Lob hat Einbeck für das Orientierungsangebot der Bundesagentur für Arbeit übrig. „Dort werden die Schüler offenbar zielgenau nach ihren Interessen befragt.“ So mancher hätte sich hinterher bei ihm beworben.

Von Beruf zu Beruf und Branche zu Branche schwankt die Bewerbersituation sehr stark. Frauen etwa streben nach wie vor eher frauentypische Berufe wie Verkäuferin, Bürokauffrau oder Arzthelferin an, Männer technische Berufe wie Kfz-Mechatroniker oder Industriemechaniker. Während solche Lehrplätze gefragt sind, interessieren sich nur wenige für Bereiche wie Metallbau- und Schweißtechnik.

Victor Jekal hat Glück. Mit Lorris Senfftleben hat der Mitgesellschafter des VW-Autohauses in Eilsleben auch in diesem Jahr einen engagierten Lehrling gefunden, der KfZ-Mechatroniker werden will. Auch wenn Autoschrauben bei Jungs nach wie vor beliebt ist, wundert sich aber auch Jekal über manche Bewerber. „Bevor ich jemanden einstelle, teste ich ihn im Rahmen eines einwöchigen Praktikums“, erzählt Jekal. Obwohl so ein Test ja auch für den Bewerber gut sei, hätten manche das Angebot ausgeschlagen.

Wie Ronald Einbeck legt auch Victor Jekal viel Wert auf ein gutes Arbeitsklima. „Bei uns wissen die Lehrlinge, dass sie jederzeit Fragen stellen dürfen“, erzählt Jekal. „Auch die Meister bei uns haben viel Verständnis für die Azubis, schließlich haben sie selbst bei uns mal als Lehrlinge angefangen.“ 33 Mitarbeiter beschäftigt das Autohaus, seit der Wende hätten 45 Azubis – teils mit herausragenden Leistungen – die Lehre abgeschlossen.

Tatsächlich spielt auch das Betriebsklima eine entscheidende Rolle, so zählten atmosphärische Störungen im Betriebsklima und Konflikte zwischen Auszubildenden und Ausbildern nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit ebenfalls zu den häufigsten Ursachen für Ausbildungsabbrüche.

In Zukunft will Ronald Einbeck bei der Suche nach neuen Lehrlingen stärker auf Studienabbrecher achten. „Es gibt heutzutage viele, die merken, dass die Uni nichts für sie ist, sie besser eine Ausbildung machen sollten“, erklärt er. „In der Vergangenheit habe ich bereits einen Studienabbrecher erfolgreich ausgebildet.“