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Bauboom Sachsen-Anhalt hat Sand im Getriebe

Durch den anhaltenden Bauboom werden Sand und Kies auf Baustellen in Deutschland zeitweise knapp.

Von Massimo Rogacki 12.06.2019, 01:01

Magdeburg l Sand – er steckt nicht nur in Straßen: Kinder buddeln darin auf Spielplätzen, er wird in Reinigungsmitteln, Zahnpasta oder in Handydisplays verarbeitet. Jeder Deutsche verbraucht rechnerisch allein ein Kilogramm Gestein pro Stunde. Pro Jahr seien das fast neun Tonnen, sagt Bert Vulpius, Geschäftsführer des Unternehmerverbandes Mineralische Baustoffe.

In Ballungsgebieten, etwa in Berlin, aber auch auf anderen Baustellen landesweit werden Sand und der gröbere Kies infolge des anhaltenden Baubooms zunehmend zur Mangelware, sagt Vulpius. Akute Probleme bei der Lieferung von bestimmten Sorten für die Betonproduktion beklagte kürzlich der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB).

Der Preis für Beton stieg im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 4,5 Prozent. Ähnlich sieht es bei Kies aus. Aufgrund der gut laufenden Baukonjunktur und der Nachfrage ziehen die Baustofflieferanten die Preise an, heißt es vom ZDB. Die Bundesingenieurkammer warnte bereits, die Sandknappheit könne zu Verzögerungen am Bau und im Extremfall zu Stillstand bei Projekten führen.

Kies und Sand kommen aus Betrieben wie dem von Hülskens Barleben. Am nordöstlichen Stadtrand von Magdeburg: Auf den ersten Blick sieht der Kiessandtagebau aus wie ein gewaltiger See. Ein großer Eimerkettenbagger fördert Sand und Kies. Das im Abbaugebiet gewonnene Material landet auf einer Bandstraße. Mit 3,2 Metern pro Sekunde und über eine Strecke von drei Kilometern rauscht der Rohstoff in Richtung Aufbereitungsanlage Rothensee.

Dort werden Sand und Kies nach Korngröße getrennt, aussortiert werden Bestandteile, die als Betonzuschlag unerwünscht sind. Bis zu 18 000 Tonnen lagern auf der Rohkieshalde. Die aufbereiteten Kiese und Sande werden direkt vermarktet – an die Bauwirtschaft, wo sie etwa für Beton, Mörtel und Asphalt gebraucht werden. Aber auch an Privatkunden, die ihren Bau- oder auch Spielsand auf dem Gelände selbst einladen. Der Hülskens-Firmenverbund mit Betrieben am Niederrhein, in Sachsen, in den Niederlanden und in Belgien betreibt über die Tochtergesellschaft Hülskens Barleben drei Kieswerke in Sachsen-Anhalt. In Tornitz, Barby und eben Rothensee.

Der größte Teil der Materialien wird dort auf dem lokalen Markt abgesetzt. Minimalmengen gehen auf dem Wasserweg etwa nach Hamburg oder Berlin. Weil die Massengüter Sand und Kies besonders transportempfindlich sind, sind Transportwege über 50 Kilometer meist unwirtschaftlich, sagt Dr. Claus Heidecke, Geschäftsführer von Hülskens Barleben.

Die tonnenschwere Last macht Transporte per Lkw teuer, sagt auch Vulpius. Deshalb seien Importe keine Lösung für die Knappheit bei den für die Bauwirtschaft dringend benötigten Rohstoffen.

Für Sachsen-Anhalts Bauwirtschaft ist das kein Thema. Beim Baugewerbe-Verband Sachsen-Anhalt zeigt man sich entspannt: „Wir hören von unseren Mitgliedern nicht, dass es diesbezüglich Engpässe gibt“, sagt ein Sprecher. Der Vorteil: Hierzulande sind die Gewinnungsstellen von Kiessanden regional überwiegend gut verteilt, sodass die Rohstoffe ohne lange Transportwege zum Empfänger gelangen. Die Versorgungsicherheit mit qualitativ hochwertigen Baurohstoffen sei mittelfristig sichergestellt, heißt es im Rohstoffbericht 2018 des Landesamtes für Geologie und Bergwesen.

Der Branche in Sachsen-Anhalt geht es also gut? Nach einem Hype zu Beginn der 90er Jahre blieben die gewonnene Rohstoffmenge und die Zahl der Betriebe in den vergangenen Jahren ziemlich konstant.

Rund 13 Millionen Tonnen Kiessande werden im Jahr in Sachsen-Anhalt gefördert. Rund 170 Gewinnungsstellen gibt es. Zum Vergleich: Deutschlandweit gewinnen rund 2000 Sand- und Kieswerke etwa 240 Millionen Tonnen Bausand und -kies pro Jahr. Die Zahl der Abbaustätten in Deutschland sinkt seit 20 Jahren stetig. Mitte der 90er Jahre waren es noch rund 3000 Gewinnungsstellen für diesen Rohstoff.

Vielerorts ist buchstäblich Sand im Getriebe. Um an den Gewinnungsstellen weiterarbeiten zu können oder bestehende Abbauflächen zu erweitern, müssen Unternehmen immer langfristiger planen. Der Knackpunkt: Bei der Genehmigung von neuen Gewinnungsstätten vergehen zwischen Antrag und Baubeginn oft zehn Jahre und mehr. Häufig kollidiert der Abbau von Rohstoffen mit anderen Nutzungsinteressen. In Planfeststellungsverfahren tragen Anwohner, Naturschützer oder Landwirte ihre Bedenken vor. Viele Unternehmer erleben dabei ihr persönliches „Stuttgart 21“, konstatiert Vulpius in Anspielung auf das umstrittene Milliardenprojekt unter dem Stuttgarter Hauptbahnhof.

Das Problem: Die notwendigen Verfahren könnten nicht nur zur Gefahr für die langfristige Versorgungssicherheit werden. Einige Betriebe werden in ihrer Existenz bedroht, sagt Vulpius.

Ein Beispiel: Die Hartgesteinslagerstätte Ballenstedt (Landkreis Harz). Schon seit Mitte der 90er Jahre wird für einen auslaufenden Festgesteinstagebau eine Nachfolgelagerstätte gesucht. Auswirkungen auf Menschen, Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima, Landschaft und Kulturgüter müssen einschließlich ihrer Wechselwirkungen ermittelt und bewertet werden. Das Vorhaben betrifft drei Natura-2000-Gebiete. Ein schier endloser Prozess, der sich nun schon über zwanzig Jahre zieht. Für den Betrieb wirtschaftlich ein Fiasko. Auch Hülskens-Geschäftsführer Heidecke muss mit Weitblick arbeiten.

Er hat lange vor dem Auslaufen der bestehenden Produktion mit der Planung begonnen – und weiß trotzdem nicht, ob alles reibungslos verlaufen wird. Der Tagebau ist in wenigen Jahren ausgekiest. Ein Verfahren zur Erweiterung läuft. „Momentan befinden wir uns in der Planfeststellung“, sagt er. Problem auch hier: „Es dauert“, sagt er. Bergbauingenieur Heidecke kritisiert allgemein nicht nur die zunehmende Dauer von Verfahren. Er weiß: Die Einwendungen von Betroffenen sind natürlich legitim.

Darüber hinaus müsse aber vor allem die gesellschaftliche Akzeptanz für den Abbau von Rohstoffen wieder zunehmen. Welcher Verbraucher hinterfrage schon, woher Sand und Kies für den persönlichen Bedarf kommen? Auch für Verbandsgeschäftsführer Vulpius ist das neben den langwierigen Genehmigungsverfahren ein Problem: Die öffentliche Akzeptanz für die Rohstoffversorgung sei nur unzureichend vorhanden, findet er.

Bei der anstehenden Genehmigung ist Claus Heidecke zumindest optimistisch. Er hoffe, dass er bis zum Jahreswechsel Klarheit hat, dass es am Standort Rothensee weitergehen kann.