1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Katronic „verlagert nach Deutschland“

Brexit Katronic „verlagert nach Deutschland“

Der EU-Austritt der Briten lässt sich wohl nicht mehr zurückdrehen. Unternehmen wie Katronic aus Wernigerode stellen sich darauf ein.

01.07.2016, 23:01

Wernigerode l Karsten Frahn blutet beim Brexit das Herz. Großbritannien ist das Land, das dem Automatisierungstechniker aus Wernigerode kurz nach der Wende die Chance gab, bei einer Messtechnikfirma anzufangen, als in Ostdeutschland starke Arbeitslosigkeit herrschte. Das Königreich, seine zweite Heimat, wird bald nicht mehr Teil der EU sein.

Für Frahn ein harter Schlag, denn er muss auch seine Geschäfte neu ordnen. Fünf Jahre nach seinem geglückten Berufsstart in Großbritannien hatte er sich mit seiner eigenen Firma dort selbstständig gemacht. Mit Katronik entwickelt und verkauft der 52-Jährige bis heute Ultraschall-Messgeräte, mit denen sich Fließtempo von Flüssigkeiten und Gasen in Rohrleitungen messen lassen. Die Geräte kommen weltweit etwa in der Öl- und Gasindustrie zum Einsatz. 16 Mitarbeiter beschäftigt Frahn in Großbritannien, sechs am Standort Wernigerode.

„Mit dem Brexit habe ich ein wirtschaftliches Problem“, berichtet Frahn. Das Produktions- und Vertriebszentrum lag bislang in Großbritannien. Dort wurden die Geräte gefertigt und in die Welt verschickt. Wernigerode war nur für einen kleineren Teil der Fertigung und für den Vertrieb im deutschsprachigem Raum zuständig. „Erst vor zwei Jahren habe ich hier in meiner alten Heimat den zweiten Standort gegründet.“

Je nachdem, wie nun die Scheidung zwischen der EU und den Briten ablaufen wird, will Frahn reagieren. „Ich gehe davon aus, dass wir unser Firmenwachstum von Großbritannien nach Deutschland verlagern“, sagt er. Bereits auf Eis gelegt hat er Investitionen am britischen Standort. „Wir wollten eigentlich ein neues Gebäude bauen – das geht in unsicheren Zeiten aber nicht.“

Vor allem neue Handelsbarrieren fürchtet der Geschäftsmann. „Bislang haben wir den EU-Binnenmarkt von Großbritannien aus beliefert. Sollte es nun neue Zölle oder andere Einschränkungen im Warenverkehr geben, würde sich das nicht mehr rechnen.“ Frahn erwägt deshalb, das gesamte Europageschäft künftig in Wernigerode anzusiedeln. „Das wäre ja auch für die Region eine gute Nachricht, denn künftig würden dann hier Jobs entstehen“, bemerkt er nebenbei.

Infografik: Die Briten verlassen die EU | Statista
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

Zu seinen Mitarbeitern in Großbritannien will er aber auch weiterhin halten. „Nur wegen irgendwelcher politischer Entscheidungen gebe ich nicht gleich auf und streiche die Segel“, betont er kämpferisch, „der britische Standort hat weiter eine Zukunft.“ Wenn alles gut läuft, hofft Frahn, dann könnte Katronic von Großbritannien aus weiter den amerikanischen, asiatischen und chinesischen Markt beschicken.

Unternehmer wie er müssen insofern Vor- und Nachteile des Wirtschaftsstandortes Großbritannien schlicht neu abwägen. Zwar drohen neue Barrieren im EU-Handel und Währungsschwankungen. Doch je nach Geschäftsausrichtung könnte Britannien auch weiterhin Chancen bieten.

Für Katronik könnte es künftig deutlich teurer werden Bauteile für die Messgeräteproduktion von Wernigerode nach Großbritannien liefern zu lassen. Doch die fertigen Messgeräte wird das Unternehmen künftig wohl günstiger verkaufen können – wenn das britische Pfund an Wert verliert und sich der Euro verteuert. „Ich muss also sehr genau hinschauen, was am Ende das Beste sein wird“, sagt Frahn.

Ein weiterer Nachteil des Brexits könnte zudem im Wegfall der sogenannten Arbeitnehmerfreizügigkeit bestehen. Frahn kann dabei auf sich selbst zeigen, er ist als junger Mann nach Großbritannien gegangen, konnte dort seine Karriere starten. Ob das für Arbeitskräfte nach Vollendung des Brexits weiterhin möglich ist, bleibt abzuwarten. Die Personalfrage könnte auch Firmenintern für Schwierigkeiten sorgen. Ohne Weiteres Mitarbeiter von Wernigerode nach Großbritannien zu schicken und umgekehrt, könnte nach dem Briten-Austritt komplizierter und bürokratischer laufen.

Katronik ist lange nicht das einzige Unternehmen in Sachsen-Anhalt, das die Scheidungsverhandlungen weiterhin genau beobachten wird. Großbritannien ist für die hiesige Wirtschaft der zweitwichtigste Exportmarkt, im vergangenen Jahr lieferten Unternehmen Waren im Wert von knapp 1,2 Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich. Das Außenhandelsvolumen, das sich aus Importen und Exporten zusammensetzt, belief sich auf 1,6 Milliarden Euro.

Einer der größten Exportschlager aus Sachsen-Anhalt war zuletzt Aluminium. Der Novelis-Konzern etwa produziert in Nachterstedt im Salzlandkreis Karosserieteile und beliefert damit unter anderem Jaguar in Großbritannien.

Wie viele andere Unternehmer auch will Frahn nun abwarten, wie es weitergeht. Als exportorientierter Geschäftsmann hält er sich allerdings auch schon lange an den Grundsatz, sich nicht auf einen Markt allzu sehr zu versteifen. „Wir liefern unsere Messgeräte in mehr als 50 Länder, weltweit wird die Nachfrage wohl weiter groß bleiben.“