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Corona-Krise Glaswerker gehen in Kurzarbeit

AGC f-glass führt Kurzarbeit ein. Die Auswirkungen der Corona-Krise machen auch anderen Flachglas-Herstellern in Sachsen-Anhalt zu schaffen.

Von Massimo Rogacki 09.04.2020, 12:39

Magdeburg l Große Teile der Wirtschaft ächzen unter den Folgen der Corona-Pandemie. Von den Auswirkungen bleiben die Glaswerke in Sachsen-Anhalt nicht verschont. Beispiel: AGC f-glass in Osterweddingen (Börde). Im Gewerbegebiet befindet sich eine der weltweit modernsten Floatglas-Produktionsstätten. Abnehmer für das dort hergestellte Flachglas sind etwa die Baubranche und die Solarindustrie.

Geschäftsführung und Betriebsrat haben sich in diesen Tagen auf die Einführung von Kurzarbeit für den größeren Teil der rund 230 Mitarbeiter verständigt. Die Geschäftsführung beantwortete eine Nachfrage der Volksstimme zu dem Thema nicht. Das Kurzarbeitergeld - normalerweise 60 bzw. 67 Prozent des Soll-Entgelts - wird vom Unternehmen auf 80 Prozent aufgestockt. Die Beschäftigten bauen zunächst Mehrarbeitsstunden ab und gehen dann in Kurzarbeit, heißt es von Eingeweihten. Im April wird das Werk auf Sicht weiterbetrieben. Ab Mai, so die optimistische Prognose, könnte bei steigender Nachfrage die Produktion wieder hochgefahren werden.

Während die Bänder bei vielen Maschinenbauern oder Autoherstellern schon länger stillstehen, gab es für die Beschäftigten im Werk in Osterweddingen genug zu tun. Die für die Produktion nötigen Rohstoffe kamen an, bestehende Aufträge wurden abgearbeitet. Doch mehr und mehr Kunden brechen weg.

Liegt die Tagesausbeute des Werks normalerweise bei 750 Tonnen Floatglas, musste die Tonnage nun heruntergefahren werden - auf 500 Tonnen pro Tag. Annähernd so viel Tonnage Flachglas pro Tag sollte eigentlich das Werk verlassen, um die Kapazität des Lagers nicht zu sprengen. Bricht die Auslieferung weiter ein, bliebe ein Puffer von wenigen Tagen, bis gar ein Produktionsstopp droht. Maßnahmen, um dieses Szenario abzuwenden: Altglas werde aus den Lagerbeständen in den Produktionskreislauf eingebracht. Der Scherbenanteil im Kreislauf wird erhöht.

Bei nachlassender Nachfrage könnte die Floatanlage kontrolliert leergefahren werden, nur der Schmelzofen muss befeuert werden. Wabert dauerhaft nur noch Altschmelze im Ofen, erwartet die Glaswerker später einiges an Schwierigkeiten. Würde gar nicht mehr befeuert werden können, droht ein irreparabler Schaden. Hinzu kommt: Sowohl ein Herunterfahren der Produktion als auch das neuerliche Hochfahren würde später wertvolle Produktionswochen kosten, bis sich die Bedingungen normalisieren. 

In Sachsen-Anhalt produzieren vier Werke rund ein Drittel des deutschen Flachglases. Branchenkenner gehen davon aus, dass auch bei Guardian Flachglas in Thalheim (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) und Euroglas Möglichkeiten zur Kurzarbeit bereits durchgespielt werden.

In den Euroglas-Werken in Haldensleben und Osterweddingen arbeiten rund 500 Mitarbeiter. Die Auftragslage sei gut, sagt die Sprecherin. Man gehe davon aus, im April keine Kurzarbeit anmelden zu müssen. Die Situation könne sich indes täglich ändern. Kurzarbeit wäre denkbar, wenn der Markt einbreche oder man behördlich gezwungen sei, die Produktion zu drosseln. Auf verschiedene Szenarien bereite man sich vor, ein Krisenstab tausche sich mit den Produktionsleitern aus. Einen mit hohen Kosten verbundenen Produktionsstopp wolle man vermeiden. Euroglas hatte aufgrund eines bestätigten Corona-Falls bereits Mitarbeiter in Quarantäne schicken müssen.

Die Situation der Werke in Sachsen-Anhalt schätzt Jan Melzer, Gewerkschaftssekretär der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) im Bezirk Halle-Magdeburg, dennoch als sehr stabil ein. Zum Problem könne die schwieriger werdende Versorgung mit den für die Produktion nötigen Rohstoffen werden, so der Gewerkschafter. Bei größeren Ausfällen von Personal könnten die Werke ebenfalls an ihre Grenzen stoßen.

Vom Bundesverband Glasindustrie (BV Glas) heißt es, die Folgen von Corona für die Glaswerke seien stark davon abhängig, wann die deutsche Wirtschaft und das öffentliche Leben wieder anlaufen können. Prognosen seien aufgrund der derzeit sehr „dynamischen Lage“ schwierig. Als „starkes Signal“ bewertet der Verband die Regelung für eine Anhebung des Kurzarbeitergelds auf 80 Prozent für rund 50 000 Tarif-Beschäftigte in der Glasindustrie. Damit könnten Arbeitsplätze gesichert und die Zeit bis nach der Krise überbrückt werden. Auf die Regelung hatten sich IG BCE und der Bundesarbeitgeberverband (BAGV) Glas und Solar in der vergangenen Woche verständigt.